Küsse im Morgenlicht
dir Sorgen zu machen.« Damit drehte sie sich zum Haus um, schaute ihm aber noch einen kurzen Moment lang fest in die Augen. »Es gibt nichts, wovor du dich fürchten müsstest.«
Amelia löste sich aus seiner stützenden Umarmung und ging auf das Herrenhaus zu. Luc sah ihr nach, blieb eine ganze Weile lang reglos stehen. Dann folgte er ihr. Amelia hörte hinter sich das Knirschen seiner Stiefel, spürte seinen Blick in ihrem Rücken. Das Lächeln auf ihren Lippen wurde noch eine Spur verschmitzter. Er glaubte ihr einfach nicht - würde ihr niemals glauben. Unglücklicherweise kannte er sie einfach zu gut.
Den Kopf hoch erhoben, eilte Amelia die Haupttreppe hinauf und rang im Geiste mit einer jener brennenden Fragen, die nach wie vor noch ungeklärt waren: Wie sollte sie bloß einen Mann verführen, der, nach seiner legendären Karriere in puncto Frauen zu urteilen, höchstwahrscheinlich schon alles gesehen hatte?
8
Amelia hatte sich gut vorbereitet, ehe sie nach Hightham Hall aufgebrochen war. Und trotzdem würde sie ihn wohl am besten einfach überraschen müssen.
Sie waren zeitig angekommen, und somit war es noch nicht einmal Mittag, als Amelia - dicht gefolgt von Luc - den Salon betrat, in dem ihre Gastgeberin die dort bereits versammelten Gäste unterhielt.
»Mama und Lady Calverton sind noch unterwegs«, entgegnete Amelia, als Lady Hightham sich nach dem Rest der Reisegesellschaft erkundigte. »Luc hat mich in seiner Karriole mitgenommen.«
Ihre Gnaden betrachtete Amelia mit einem strahlenden Lächeln. Dann klopfte sie einladend neben sich auf die Chaiselongue. »Bitte, setzt Euch doch, meine Liebe. Und erzählt mir alles, was es bei Euch Neues gibt!«
Amelia ließ sich gehorsamen neben ihrer Gastgeberin nieder und unterdrückte ein kleines Grinsen, als Luc Lady Highthams schalkhaft neckenden Blick ignorierte und nach einer eleganten Verbeugung über deren Hand gelassen wieder davonschlenderte. Er gesellte sich zu einer Gruppe von Gentlemen, die Zuflucht vor einem der Fenster des Salons genommen hatten - sie waren offenbar allesamt von einem ähnlichen Schicksal wie dem von Luc hierher verschlagen worden. Amelia ließ ihn ziehen. Denn sie war schon auf vielen Hauspartys gewesen und kannte den üblichen Zeitplan genauso gut wie Luc.
Während nach und nach immer mehr Gäste eintrafen, plauderten die Damen im Salon äußerst angeregt miteinander. Schließlich fuhren auch die Kutschen der Calvertons und der Cynsters vor; gerade rechtzeitig zum traditionell späten Mittagessen am ersten der Tag der Hausparty.
Darauf folgte üblicherweise jene Phase, in der die Gentlemen sich in einen den Herren vorbehaltenen Raum zurückzogen, um ein kleines Nickerchen zu machen, während die Damen sich miteinander besprachen. Dieser erste Nachmittag der Festlichkeiten war die Zeit, in dem die weibliche Hälfte der Geladenen sich um die organisatorischen Belange kümmerte. Jene Zeit also, in der man erfuhr, wer für welches Zimmer eingetragen war, und in der sichergestellt wurde, dass die Zofen in dem Durcheinander an Gepäckstücken die Kleider ihrer Herrschaften gefunden und gewissenhaft ausgeschüttelt hatten, und auch die Haarbürsten der Damen bereits ordentlich nebeneinander lagen. Außerdem erkundigte man sich, wer neben wem wohnte und wo die Anstandsdamen und die gefährlichen Klatschbasen untergebracht waren.
Später am Abend würden dann die Damen, die es auf eine verbotene kleine Affäre abgesehen hatten, die Gelegenheit finden, den Herren ihres Begehrens die genaue Lage ihrer Zimmer mitzuteilen. Aber was immer sich zwischen den Herrschaften dann noch ergeben mochte, würde sich selbstverständlich erst im Verlauf der kommenden Tage entwickeln. Denn es bestand die für alle geltende, von allen akzeptierte und in gewisser Weise auch von allen verlangte Regel, dass am ersten Nachmittag einer Hausparty nichts vorkommen durfte, das auch nur im Entferntesten skandalös war.
Als Amelia das ihr zugewiesene Zimmer betrat - eine sehr geschmackvoll eingerichtete, geräumige Schlafkammer am Ende eines der Seitenflügel, die dankenswerterweise auch noch dicht an einem der Dienstbotenaufgänge lag -, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, dass ihre Zofe, Dillys, die Anweisungen ihrer Herrin auf den Punkt genau befolgt hatte. Ihre Kleider waren aufgehängt, und ihre Bürsten lagen ordentlich nebeneinander auf der Frisierkommode aufgereiht. Und sogar jenes gewisse, verführerische Kleidungsstück, in das Amelia nach der
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