Kuessen al dente - Roman
Blick fiel auf einen Mann, der am sogenannten Königstisch saß und eine Espressotasse in die Luft reckte, als wäre es ein Oscar. »Ja?«
»Luca Santini«, sagte der Mann, stand auf und stellte dabei die Tasse umgedreht auf den Tisch. Die oberen zwei Knöpfe seines Hemds standen offen und ließen ein seidig glänzendes Brustfell erahnen. Sein Haar hatte die Farbe von angelaufenem Silber, aber davon besaß er reichlich, und er trug es in der Mitte gescheitelt und auf Kragenlänge geschnitten. Er sah aus wie ein Mann, dem man unzählige Male versichert hatte, dass er um mindestens zwanzig Jahre jünger aussehe als seine sechzig plus, so dass er es inzwischen selbst glaubte. Angezogen war er wie ein dreißigjähriger Investmentbanker auf dem Weg zu einer langen Clubnacht.
Georgia schaute ihn ausdruckslos an. »Hallo«, sagte sie dann. »Freut mich.« Sie streckte ihm die Hand hin.
»Mir gehört dieses Lokal«, sagte Luca und betrachtete
ihre ausgestreckte Hand, ohne sie zu ergreifen. »Und, klingelt es bei Ihnen?« Er neigte den Kopf zur Seite und schob die Unterlippe vor, eine Geste, die Georgia bald perfekt nachahmen sollte.
»Oh, Luca, Mr. Santini, verzeihen Sie.« Georgia lächelte ihn schuldbewusst an. »Mein Freund Effie hat mir so viel von Ihnen erzählt.«
Wieder legte er den Kopf schief und starrte ihre Hand an, die so dicht vor der seinen schwebte. Nach einer Ewigkeit, wie ihr schien, ergriff er sie endlich mit seinen dicken Fingern und schüttelte sie kräftig. »Nennen Sie mich Luca. Bitte, nehmen Sie Platz.« Er rückte für sie einen Stuhl zurecht.
Georgia setzte sich etwas steif und rieb sich unter dem Tisch die rechte Hand. Der Abdruck seines Rings war deutlich an ihrem Finger zu spüren, weshalb Georgia unwillkürlich einen Blick auf den dicken Brillanten warf, der am kleinen Finger ihres neuen Bosses funkelte. Gleichzeitig versuchte sie sich zu erinnern, was Effie von Luca erzählt hatte und ob dabei das Wort Patenonkel gefallen war.
»Sie haben schwer Eindruck gemacht auf Effie. Gino, sein Onkel Gino, mein Freund Gino sagt, dass er nur noch davon redet, nach New York zu kommen, um für Sie zu arbeiten. «
»Für mich? Ah, Sie meinen hier, im Tuscan Oven?«
»Natürlich, wo sonst?«
Georgia wechselte das Thema. »Und, was führt Sie in die Stadt? Weihnachtseinkäufe? Geschäfte? Der Broadway?«
»Ach, dieses und jenes. Aber in erster Linie komme ich wegen Ihnen.«
»Wegen mir?«
Der Geschäftsführer hatte Georgia erzählt, dass sie Luca wahrscheinlich nie zu Gesicht bekäme, da er nur alle paar
Monate einmal mit einem Schwarm Blondinen im Schlepptau durchs Lokal fegen würde, und das weniger aus Interesse an seinem Restaurant, sondern um seinen privaten Weinkeller aufzufüllen.
»Seit Sie hier sind, hat sich die Qualität der Speisen merklich verbessert, habe ich gehört. Die Umsätze steigen, die Unkosten sinken. Und das alles in, was, zwei Monaten? Sie sind jetzt seit zwei Monaten hier, richtig?«
»Ja«, bestätigte Georgia. »Ich habe Mitte Oktober angefangen. « In zwei Wochen war Weihnachten.
»Gut, dann verraten Sie mir, wie Sie das geschafft haben. Was Sie hier im Tuscan Oven anders machen.«
»Gerne, Luca. Sie meinen mit den Speisen?«
»Falls Sie uns nicht ein paar neue Wandfresken gemalt haben, ja, dann spreche ich vom Essen.« Er hob seine Espressotasse hoch und stieß sie wieder in die Luft.
»Na ja, mit den Rezepten lässt sich grundsätzlich gut arbeiten. Sie brauchten nur ein wenig, hm, wie soll ich sagen … Zuwendung? Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bei der Zubereitung, der Präsentation und besonders im Hinblick auf die Verwertbarkeit. Da wurde vieles unnötig verschwendet und weggeworfen, was sich prima verwerten lässt.«
Mit dem Thema Sparen war man bei Gastwirten immer auf der sicheren Seite. Niemand wollte Geld verlieren. Ein Restaurantbesitzer mochte am Essen herummäkeln oder am Service, doch wenn es ums Geld ging, besonders ums Einsparen, waren alle ganz Ohr.
»Die Rezepte stammen von meiner Nonna, meiner Großmutter. Und die hatte sie von ihrer Nonna und die von ihrer. Wir haben nicht immer in Bari gelebt. Wenn Sie glauben, man sollte sie ein wenig aufpolieren, dann nur zu. Aber sie haben die Santinis seit Generationen glücklich gemacht – und fett.«
Lächelnd tätschelte Luca seinen Bauch. Er sah nicht direkt wie ein Hai aus, aber eine gewisse Ähnlichkeit ließ sich nicht leugnen, fand Georgia.
»Haben Sie schon das eine oder andere Gericht
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