Kuessen al dente - Roman
aus.
»Georgia! Ciao, bellissima! « Ihre braunen Augen leuchteten unter einem schräg geschnittenen Pony. Wären nicht die Lachfältchen gewesen, die ihre Mundwinkel umspielten wie kleine Ausrufezeichen, könnte sie für zehn Jahre jünger als ihre zweiundvierzig durchgehen. Sie packte Georgia an den Schultern und küsste sie auf beide Wangen. »Du bist da! Brava!«
Mit ihrem außergewöhnlichen Talent und ihrem knabenhaften Aussehen stand Claudia seit langem an der Spitze der neu erwachten Florentiner Gourmetszene. Und nach den Wohlgerüchen, die aus dem Backofen drangen, würde sich das auch so bald nicht ändern.
»Es ist so schön, dich zu sehen«, sagte Georgia. »Ich freue
mich wahnsinnig, wieder hier zu sein.« Jegliche Befürchtungen, dass Claudia sich in eine verbitterte alte Jungfer verwandelt haben könnte, schmolzen dahin. Und wenn sie wirklich eine schwere Zeit durchmachte, so sah man ihr das kein bisschen an. Sie war so hinreißend und sprudelte vor Temperament wie eh und je.
Claudia trat einen Schritt zurück und musterte ihren ehemaligen Lehrling kurz von oben bis unten. »So, du hast also eine schlechte Kritik einstecken müssen? Das ist nicht das Ende der Welt. Ihr in Amerika gebt ohnehin viel zu viel auf dieses Geschreibsel. Ich habe sie gelesen, online. Sie war beinahe zu schlecht.« Sie lächelte wieder. »Aber jetzt bist du hier, also egal.«
»Ja«, seufzte Georgia. »Hier bin ich.«
»Und der Bursche? Dein Verlobter?« Claudia griff nach Georgias linker Hand. »Kein Ring?«
»Kein Ring, kein Verlobter.« Obwohl auf ihren wunden Punkt angesprochen wurde, strahlte Georgia übers ganze Gesicht. Hier zwischen dieser faszinierenden Landschaft, den köstlichen Düften, die durch die Küche wehten, und Claudias ansteckender Begeisterung kehrte ihr permanentes Grinsen unversehens zurück. »Was kochst du denn? Es riecht köstlich. «
»Cinghiale mit Rotwein und Oliven.« Claudia musterte Georgia noch einmal. »Kein Ring, kein Verlobter und das breiteste Lächeln, das ich heute gesehen habe.« Sie nickte anerkennend. »Wir essen später. Erst einmal möchte ich dir dein Zimmer zeigen.«
Georgia folgte Claudia durch die Küche und die Hintertreppe hinauf in ein hübsches Zimmer mit weiß lasierten Dachbalken, einer Kommode, einem Bett und einem Schreibtisch. Es gab ein kleines Bad mit einer Duschkabine und einem Fenster,
von dem aus man einen wunderbaren Blick auf den Weinberg nebenan hatte.
»Perfekt«, sagte Georgia.
Georgia hörte ein Schnüffeln, und gleich darauf steckte ein Hund mit kurzem grauem Fell den Kopf durch die Tür. Ein Hund. Claudia hatte einen Hund!
»Mein Sohn, Chien«, stellte Claudia den Hund vor und kraulte ihn hinter den Ohren. »Er ist ein sehr freundlicher Zeitgenosse. Du hast doch keine Angst vor Hunden, oder?«
»Aber nein. Ich liebe Hunde.« Georgia kniete sich hin. Sie vermisste ihre Sally, seit sie den Fuß in das Flugzeug gesetzt hatte. »Komm mal her, Chien«, lockte sie ihn. »Na, du sprichst wohl kein Englisch, wie?«
»Noch nicht. Aber er hat ja den ganzen Sommer Zeit, es zu lernen. Und wer weiß – vielleicht sogar länger.« Claudia ging aus dem Zimmer, Chien folgte ihr auf dem Fuß. »Ich lasse dich jetzt allein, damit du dich einrichten kannst. Komm runter, wenn du fertig bist, dann essen wir.«
Georgia streckte sich erst einmal auf dem Bett aus und legte den Kopf auf das weiche Kissen. Vielleicht sogar länger, hatte Claudia gesagt. Der Gedanke, dass San Casciano mehr als nur ein Sommerjob werden könnte, war sehr verlockend. Aber wer weiß schon, wo ich mich im Oktober wiederfinden werde, dachte sie. Im Moment genügte es ihr zu wissen, dass sie im wunderwunderschönen San Casciano war und es in ihrem neuen Zuhause auch einen Hund gab.
Vor ihr auf dem Tisch stand eine Schale Cappuccino mit Milchschaum. Zum dritten Mal versuchte Georgia einen Schluck davon zu trinken, um ihr nach Koffein schreiendes Gehirn zu befriedigen, und zum dritten Mal konnte sie die Schale nicht an die Lippen heben, ohne sich die Finger zu
verbrennen. Obwohl sie beim Abendessen zwei Portionen Wildschwein verputzt hatte, einen Berg Polenta und reichlich gedünsteten Spinat, knurrte ihr schon wieder der Magen. Nach dem Festmahl hatte sie sich auf der klumpigen Matratze ihres Betts hin und her geworfen und sich vorgestellt, wie Sally sich in der Junggesellenbude von Glenns Cousins an ihr Herrchen ankuschelte und die beiden zufrieden und glücklich im Gleichtakt
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