Kuessen al dente - Roman
»Nein, ich glaube, Sonnenhut ist nichts für uns. Außer wenn Claudia mit einer Erkältung kämpft, von der wir nichts wissen.«
»Hast du schon mal Echinacea-Tee probiert?«, warf Vanessa ein. Sie hatte ihre Haare unter den Hut gestopft, doch an der Stirn klebten ein paar verirrte Strähnen. »Oder diese Pillen, die eine Erkältung angeblich gar nicht erst aufkommen lassen?« Sie streckte die Zunge raus, um einen Schweißtropfen aufzufangen, der ihr über die Oberlippe rollte.
Georgia war noch nie einem Menschen begegnet, männlich oder weiblich, der mehr schwitzte als Vanessa. Nach fünf Minuten auf der Dachterrasse glänzte sie wie ein Preisboxer in der zehnten Runde.
Effie zuckte die Achseln und steckte die Blüte in die Brusttasche
seines Hemds. Das Trio marschierte weiter den staubigen Weg entlang. Mit ihren Gummistiefeln und den übergroßen Eimern sahen sie eher aus wie Fliegenfischer auf dem Weg zum nächsten Fluss als eine Gruppe Köche, die dabei war, ihr Abendessen zusammenzusammeln.
Seit ihrer Ankunft in San Casciano hatte die Dia-Brigade ihre Tage im grellen Neonlicht einer Küche verbracht, erst in der Villa und nach Abschluss der Umbauarbeiten im Restaurant selbst. Einen ganzen Monat lang hatten sie Gerichte und Beilagen kreiert, zubereitet und verändert, daran herumgefeilt und manches am Ende doch verworfen, ein Unterfangen, das selbst den routiniertesten Chef zum Wahnsinn treiben konnte. In letzter Zeit hatten sie die Küche nur noch zum Schlafen, Duschen und Rasieren verlassen — Letzteres offenbar kein Muss, wenn man Effies wild wuchernde Gesichtsbehaarung betrachtete. Der ganze Haufen war total ausgepowert und sah auch so aus, weshalb Claudia entschieden hatte, dass ein Ausflug im Stil der Jäger und Sammler genau das war, was ihre Leute brauchten. Sie hatte sie in zwei Gruppen aufgeteilt und mit dem Auftrag losgeschickt, alle möglichen essbaren Zutaten für ihr heutiges Abendessen zu sammeln.
»Viel Spaß!«, rief Claudia ihnen nach, als sie sich leicht benommen vor Erschöpfung und gegen die Sonne anblinzelnd auf den Weg machten. Weniger als zweiundsiebzig Stunden vor der Eröffnung kümmerte sich keiner von ihnen um seine tägliche Dosis Vitamin D.
»He, wartet mal«, rief Effie Georgia und Vanessa zu. Er stand über ein paar silbrig schimmernde Salbeistauden gebeugt.
»Gut gemacht, Ef«, lobte Georgia und kniete sich vor die Pflanze. Sie zupfte ein Blatt ab, zerrieb es zwischen Daumen
und Zeigefinger und roch daran. »Hm, dieser Salbei ist fantastisch. «
»Apropos fantastisch«, flüsterte Vanessa.
»Was ist denn, Vee?« Georgia schaute hoch.
Vanessa deutete auf einen Typ mit kastanienbraunem Haar, der vor einer Steinmauer auf und ab ging, keine fünfzehn Meter von ihnen entfernt. Auf dem Schild hinter ihm stand in weinroten Buchstaben Vigna de Volpe Bianca , darunter prangte die Zeichnung eines weißen Wolfs mit spitzen Fangzähnen. Der Mann gestikulierte mit einer Hand in der Luft herum, mit der anderen presste er ein Handy an sein Ohr. Mit der ein wenig abgewetzten Jeans, dem weißen Hemd darüber und den braunen Slippern ohne Socken verkörperte er den typisch elegant-zerzausten Stil gut aussehender Italiener.
»Wer ist das?«, fragte Georgia.
Effie hatte die Salbeistaude abgeerntet und untersuchte gerade einige Blättchen, die aus einer dürren gelben Pflanze sprossen. Er warf einen Blick auf den Mann. »Gianni. Ihm gehört Volpe Bianca, die Winzerei nebenan. Von dort werden wir unseren Hauswein beziehen. Sie machen einen guten Chianti und einen recht anständigen Silvaner, falls du auf Weißwein stehst.« Er rümpfte die Nase.
»Viel wichtiger ist, ob er Single ist«, warf Vanessa ein.
»Woher soll Effie das wissen?«, gab Georgia zurück.
»Ich weiß es tatsächlich, und ja, er ist noch zu haben. Er ist ein unverbesserlicher Playboy.«
»Wirklich«, bemerkte Georgia so unverfänglich wie nur möglich. Seit diesem Typ in Florenz, den sie so völlig und auf unendlich beschämende Weise missverstanden hatte, war ihr kein auch nur im Entferntesten interessant erscheinender Mann mehr über den Weg gelaufen. Pflichtschuldig hatte sie
den Rat ihrer Freundinnen befolgt, es einmal mit dem Single-Dasein zu versuchen, und ihr von Claudia inspiriertes Mantra so oft aufgesagt, dass sie es sogar im Schlaf hörte: Konzentriere dich auf das, was du hast (Italien, neue Freunde, lebenslange Erfahrung) und vergiss, was du nicht hast (ein eigenes Restaurant, einen Ehemann, einen
Weitere Kostenlose Bücher