Kuessen al dente - Roman
Georgia auf die Palme zu bringen, aber sie wünschte ihm nicht mehr die Pest an den Hals, oder dass seine Geschmacksknospen vertrocknen.
»Du meine Güte«, sagte Claudia und klatschte in die Hände. »Das wird ja noch schlimmer werden, als ich befürchtet hatte.«
»Heute bin ich dran mit der Musik«, brüllte Tonio, als die Küchencrew ihre Stationen einnahm. Er steckte seinen iPod in das Bose-Soundsystem oben auf dem Edelstahlregal, das zusammen mit dem Minischreibtisch daneben als Kommandozentrale der Küche diente. Darin fanden zwei Monitore Platz, ein Telefon und das offizielle Kochbuch, eine dicke, ledergebundene Kladde, in der Claudia und die Köche Notizen festhielten, die ihre ständigen Lieferanten, die Adressen von Bauern, Ideen für spezielle Gerichte und alles andere betrafen, was sie nicht vergessen durften.
»Nicht wieder dieses Trance-Gedudel, bitte«, meckerte Effie schon mal vorsorglich.
Tonio scrollte durch seine Liste, und schon bald pulsierten elektronische Klänge durch die Küche. »Sorry, Mann, was anderes habe ich nicht.«
Bruno holte aus dem behelfsmäßigen Barschrank, den er aus einer alten Holzkiste gebastelt hatte, eine Flasche Campari und eine Flasche süßen Wermut. »Negroni?« Er warf die Frage in die Runde, ohne sich umzudrehen. Heute feierte die Belegschaft, vor der inoffiziellen Party mit Freunden, vor der großen Eröffnung. Die Frage war rein rhetorisch gemeint.
Eineinhalb Stunden später war das von einem Gaumenschmaus weit entfernte Abendessen zubereitet, auf den Tisch gestellt und (größtenteils) aufgegessen worden. Das Highlight war der Salat, bestehend aus wildem Grünzeug und jungem Gemüse aus dem hauseigenen Biogarten, in dem ein Großteil der Kräuter und Gemüse für die Tageskarte angebaut wurden. Was nicht selbst gezogen wurde, kam nach Möglichkeit
von Gärtnereien aus der Umgebung. Die Italiener waren, was den heimischen Gemüseanbau betraf, den Amerikanern weit voraus.
Claudia erhob ihr Glas mit Sassicaia, der aus ihrem eigenen Weinkeller stammte. »Ich möchte ein paar Worte sagen«, begann sie. »Keine Angst, ich fasse mich kurz.«
Das Geschnatter verstummte. Alle sahen Claudia an, die ein paar Schritte vom Tisch weggetreten war und jetzt mitten in dem kleinen, aber gemütlichen Aufenthaltsraum neben der Küche stand, wo sie seit neuestem gemeinsam aßen und ihre Besprechungen abhielten. Sie trug hautenge schwarze Hosen, schwarze Ballerinas und ein schneeweißes Hemd, das ihr bis auf die Oberschenkel reichte.
Sie sieht aus wie Audrey in Funny Face «, flüsterte Vanessa Georgia zu.
»Stimmt«, pflichtete ihr Georgia bei.
Bei einem gemütlichen Fernsehabend hatten die zwei Frauen festgestellt, dass sie beide ein Faible für alte Filme hatten, am liebsten in Kombination mit Popcorn und Eisbechern mit in Grappa eingelegten Kirschen und Schlagsahne aus der Sprühdose.
»Das mag vielleicht nicht das beste Mahl gewesen sein, das wir je gekocht oder gegessen haben«, meinte Claudia grinsend, »aber wir hatten Spaß dabei, es zuzubereiten, und das ist manchmal wichtiger als das Ergebnis selbst. Freilich nicht, wenn man einen Kritiker im Haus hat«, setzte sie mit einem Lächeln in Georgias Richtung hinzu, die daraufhin unbehaglich auf ihrem Stuhl herumrutschte. »Doch diese Mahlzeit zeigt, was ein Team ausmacht: Hindernisse überwinden, jeder bringt seine Stärken ein, zusammenarbeiten. Und ihr habt es in nur kurzer Zeit sehr weit gebracht. Ich bin wirklich stolz auf euch.«
Der Wein war den ganzen Abend über in Strömen geflossen, und die Crew inhalierte Claudias Worte wie einen selten guten Tropfen. Ganz offensichtlich begann sie ihre offizielle Motivationsansprache, um ihre Leute einzustimmen. Weltweit spalteten sich Angestellte in zwei Lager: die einen, die dieses Truppen-Einschwörungs-Gerede nicht leiden konnten, und die anderen, die am liebsten jede Silbe mitgeschrieben hätten. Die Dia-Belegschaft lächelte durchweg verträumt, hatte feuchte Augen und stand kurz vor einer Gruppenumarmung. Sie waren wirklich ein hingerissenes, wenn nicht gar gefühlsduseliges Publikum.
»In drei Tagen öffnet die Trattoria Dia ihre Pforten. So eine Eröffnung ist jedes Mal ein hartes Stück Arbeit. Aber wir haben ein wundervolles Restaurant und ein außergewöhnliches Team.« Sie erhob ihr Glas. »Ich würde das Dia mit niemand anderem eröffnen wollen als mit den Leuten, die hier an diesem Tisch sitzen. Auf euch alle«, sagte sie.
Effie ließ einen Pfiff los.
Weitere Kostenlose Bücher