Küssen will gelernt sein: Roman (German Edition)
unternehmen sollte. Sie hatte mit Kindern keinerlei Erfahrung und wollte Lisa nicht gleich nach den Flitterwochen mit einem derartigen Problem überfallen. Lisa hatte bestimmt ihre eigenen Schwierigkeiten mit Sophie, und da wollte Delaney sie nicht noch mit einem zusätzlichen belasten. Blieb nur noch Nick. Sie fragte sich, ob er ihr wirklich glauben würde.
Das fragte sie sich am nächsten Tag noch immer, als Sophie um fünfzehn Uhr dreißig den Salon betrat. Delaney schaute von Mrs Stokesberrys Perücke auf und erblickte das Mädchen, das sich verlegen an der Ladentür herumdrückte. Ihr dickes
Haar war an den Seiten mit Blümchenspangen festgeklemmt, und ihre dunklen Augen wirkten in ihrem schmalen Gesicht riesig. In ihrer überdimensionalen Steppjacke sah sie aus wie ein verängstigtes kleines Mädchen. »Ich bin gleich bei dir«, rief sie ihr zu und widmete sich wieder ihrer Kundin. Sie passte der alten Dame die weiße Perücke an und reichte ihr einen Styroporkopf mit einem schwarzen Haarhelm. Dann gab sie Mrs Stokesberry ihren Seniorenrabatt und half ihr aus der Tür.
Delaney richtete ihre Aufmerksamkeit auf Sophie und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Nach kurzem Zögern meinte das Mädchen: »Sie haben gestern Abend gar nicht bei Onkel Nick angerufen.«
»Vielleicht hab ich das ja, und du weißt es nur noch nicht.«
»Nein, haben Sie nicht, denn ich wohne bei ihm, bis Dad und Lisa zurückkommen.«
»Du hast recht. Ich hab ihn nicht angerufen.«
»Haben Sie heute mit ihm gesprochen?«
»Nein.«
»Wann werden Sie das tun?«
»Ich weiß noch nicht.«
Zwischen ihren Augenbrauen erschien eine tiefe Furche. »Wollen Sie mich etwa auf die Folter spannen?«
Delaney hatte nicht bedacht, welche Qualen die Dreizehnjährige ausstehen musste, während sie darauf wartete, dass die Bombe hochging. »Ja.« Sie grinste zufrieden. »Du wirst nie so genau wissen, wann oder wo ich ihm etwas sagen werde.«
»Okay, Sie haben gewonnen. Ich wollte Ihnen Angst einjagen, damit Sie aus der Stadt verschwinden.« Sophie verschränkte die Arme und fixierte einen Punkt hinter Delaneys Kopf. »Tut mir leid.«
Das klang aber gar nicht so. »Warum hast du das gemacht?«
»Weil mein Onkel dann alles kriegen würde, was Sie ihm immer weggenommen haben. Sein Vater hat Sie mit allem versorgt, und er musste löchrige Jeans und abgetragene T-Shirts tragen.«
Delaney konnte sich nicht entsinnen, dass Nick je im Löcher-Look rumgelaufen wäre. »Ich war Henrys Stieftochter. Hätte ich etwa nackt rumlaufen sollen, weil meine Mutter Nicks Vater geheiratet hat? Glaubst du wirklich, dass ich schuld daran bin, was für Kleider Nick hatte?«
»Tja, wenn Ihre Mutter Henry nicht geheiratet hätte …«.
»Wäre er ein wunderbarer Vater geworden?«, unterbrach Delaney sie. »Hätte er Nick geliebt und ihm alles gekauft, was er wollte? Deine Großmutter geheiratet?« An Sophies Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass sie genau das dachte. »Nie im Leben. Nick war zehn, als ich nach Truly gezogen bin, und in diesen zehn Jahren hat sein Vater ihn nie wahrgenommen. Nie ein nettes Wort zu ihm gesagt.«
»Das hätte er vielleicht.«
»Ja, und Affen hätten aus seinem Arsch fliegen können, aber die Chancen standen nicht gut.« Sie schüttelte den Kopf. »Zieh deine Jacke aus und komm mit nach hinten«, befahl sie. Sie konnte Sophies Spliss keine Minute länger ertragen.
»Warum?«
»Ich wasch dir jetzt die Haare.«
»Aber ich hab sie mir heute Morgen vor der Schule gewaschen.«
»Und danach schneid ich dir die kaputten Spitzen ab.« Delaney blieb am Waschbecken stehen und sah auffordernd zu ihr herüber. Sophie hatte sich nicht von der Stelle gerührt. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich Nick nicht doch anrufe und ihm von den Drohbriefen erzähle, die du mir geschrieben hast.«
Mit finsterer Miene schälte sich die Jugendliche aus ihrer Steppjacke und kam zu ihr nach hinten geschlurft. »Ich will die Haare aber nicht geschnitten haben. Ich hab sie gern lang.«
»Das sind sie danach immer noch. Sie sehen nur nicht mehr aus wie ein zerfasertes Seil.« Delaney benutzte ein mildes Shampoo und eine Spülung und setzte das Mädchen in den Salonstuhl. Sie kämmte und schnippelte, und wenn das herrlich dichte, dunkle Haar sich auf einem anderen Kopf befunden hätte als auf dem des Mädchens, das sie mürrisch im Spiegel fixierte, hätte sie sich vielleicht im Friseurhimmel gewähnt. »Vielleicht glaubst du mir das nicht, aber
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