Küstenfilz
es nicht glauben, dass Reiner
Grimm mit Mördern und Entführern unter einer Decke steckte. Was sollte Grimm
für ein Motiv haben? Überhaupt war es noch unklar, weshalb die Joost-Kinder
Opfer in diesem Fall waren. Ihr Vater hatte keine Position inne, von der aus er
Einfluss auf irgendwelche Entscheidungen nehmen konnte.
Lüder steuerte einen Parkplatz an, weil seine Gedanken
doch zu sehr abgelenkt wurden und er feststellen musste, dass er nicht mehr
weiterfahren konnte, ohne Dritte und sich selbst zu gefährden.
Der Schleswiger Landrat, Graf von Halenberg, hatte
einen überraschenden Gesinnungswandel vollzogen. Zunächst war er aus Sorge,
seine Wiederwahl zu gefährden, strikt gegen das geplante Atomkraftwerk gewesen.
Plötzlich stand er dem Vorhaben aber nicht mehr so abweisend gegenüber.
Außerdem hatte er sich bei der Kieler Landesregierung vehement dafür
eingesetzt, dass die Polizei sich aus den Ermittlungen nach der Entführung
zurückzog. Daraus konnte man schließen, dass der Landrat erpresst worden war.
Und wenn man diesen Gedanken weiterspann, dann waren womöglich die Kinder
seines engen Mitarbeiters Joachim Joost die Geiseln, mit denen der
Meinungswandel des Landrats erpresst worden war.
Wenn das wahr ist, dachte Lüder, dann haben wir es mit
besonders perfiden Machenschaften zu tun. Auch Holger Rasmussen war, wenn auch
aus anderen Gründen, ein entschiedener Gegner des Vorhabens. Ihm war zur
Warnung eine Briefbombe ins Haus geschickt worden, die seine Ehefrau
entsetzlich zugerichtet hatte.
Konnte es sein, dass wirtschaftliche Interessen auf so
brutale Weise durchgesetzt werden sollten? Auch wenn es ein Spiel um Millionen
– ach, was –, um Milliarden Euro war, so fiel es Lüder schwer, zu glauben, dass
dafür Kinder ihr Leben lassen mussten und Bärbel Rasmussen für den Rest ihres
Lebens verstümmelt blieb.
Was hatte Reiner Grimm nassforsch von sich gegeben,
als sie über das Für und Wider der Atomenergie gesprochen hatten?
»Kohle und Braunkohle verursachen CO 2 -Ausstoß und tragen zur
Klimaveränderung bei. Das begreifen die Menschen nicht. Deshalb muss man ihnen
mit anderen Mitteln die ›Zukunft‹ nahebringen, sie zur Not sogar dazu zwingen.«
Und die beiläufige Frage nach dem Ort seiner Herkunft
stellte möglicherweise den Schlüssel zur Lösung dar.
Kölleda! Lüder fiel ein, was er dem Manager der DEU Holsten Power geantwortet hatte, als
dieser die Globalisierung der Wirtschaft aufs Schild gehoben hatte: Si
tacuisses, philosophus mansisses. Hättest du geschwiegen, so wärst du ein
Philosoph geblieben.
Er sah eine Weile den vorbeirauschenden Autos nach,
bevor er die Nummer der Kappelner Polizei wählte. Offensichtlich hatte man dort
über den Fall gesprochen, denn er wurde ohne Probleme mit dem Beamten
verbunden, der sich in Kiel gemeldet hatte.
Der Polizist schilderte Lüder den Vorfall auf
Rasmussens Hof.
»Wie sind Sie verblieben?«, fragte Lüder.
»Die Kontrahenten haben gegenseitig Anzeige erstattet.
Der junge Rasmussen wegen Hausfriedensbruch, der Besucher wegen
Körperverletzung.«
»Was waren das für Leute?«
Der Polizist lachte laut. »Ein großer Dünner und ein
kleiner Dicker.«
»Die sind mir früher schon beschrieben worden. Man hat
sie ›Pat und Patachon‹ genannt. Könnte das zutreffen?«
Erneut lachte der Beamte aus Kappeln. »Treffender kann
man die beiden nicht beschreiben. Pat, der Lange, heißt Franz-Josef Wurzberger.
Patachon nennt sich Konstantin Schmiedel. Die Männer arbeiten für eine
Unternehmensberatung aus Bad Homburg. Das liegt bei Frankfurt.«
»Wo sind die beiden jetzt?«
»Pat ist im Krankenhaus in Kappeln. Rasmussen hat ihm
mit einem Schlag das Nasenbein gebrochen. Patachon ist meines Wissens ins Hotel
zurückgekehrt, um dort auf seinen Partner zu warten.«
»Wissen Sie den Namen des Hotels?«
»Sicher«, antwortete der Polizist. »Die Männer haben
als hiesiges Quartier das ›Seehotel Töpferhaus‹ am Bistensee angegeben.«
Lüder kannte das Hotel im Naturpark Hüttener Berge. Er
war gespannt darauf, die Bekanntschaft der beiden zu machen, und hatte vor,
direkt dorthin zu fahren. Nachdenklich startete er den Motor und reihte sich in
den laufenden Verkehr ein.
*
Mommsen hatte den Eindruck, Schleswig inzwischen fast
besser zu kennen als das heimische Husum. Er hielt die hektische Betriebsamkeit
seiner temporären Vorgesetzten Frauke Dobermann nicht für die richtige
Vorgehensweise und hatte den Eindruck, Holtgrebe und er wären
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