Küstenfilz
und
Burgenstraße.«
Merkwürdig, dachte Lüder. Rotraud Kiesberger, die
Frau, die sie im Zusammenhang mit der Entführung des kleinen Josh Joost
suchten, kam auch aus Kölleda. Er stand auf. »Vielen Dank, Herr Grimm, dass Sie
Zeit für mich hatten.«
Der Manager war ebenfalls aufgestanden. Er wirkte jetzt
völlig irritiert. »Jaa – geern«, sagte er gedehnt. »Aber nun weiß ich immer
noch nicht, weshalb Sie mich aufgesucht haben. Sie wollten mit mir doch sicher
nicht über die künftige Energiepolitik diskutieren, oder?«
Lüder gab Grimm die Hand. »Si tacuisses,
philosophus mansisses.«
»Das habe ich jetzt nicht verstanden«, gab Grimm zu.
»Viele Menschen im Lande verstehen den globalen
Anspruch der großen Multis auch nicht mehr. Warum heißt Ihr Unternehmen auf
Denglisch Holsten Power und nicht Norddeutsche Stromversorgung?«
»Wir leben in einer globalen Welt und müssen uns vom
Provinzialismus lösen. Das drückt sich auch in der Sprache aus.«
»Sehen Sie. Und darüber vergessen wir die Werte einer
fundierten Bildung.« Lüder schüttelte dem Manager kurz die Hand und drehte sich
um. Weshalb hätte er Grimm auch erklären sollen, dass er in diesem Gespräch
eine Menge erfahren hatte und der alte lateinische Spruch »Hättest du
geschwiegen, so wärst du ein Philosoph geblieben« sich wieder einmal bestätigt
hatte.
*
In den Räumen der Flensburger Bezirksinspektion ging
es zu wie in einem Bienenschwarm. Frauke Dobermann dirigierte die emsig vor
sich hinwuselnden Beamten der Mordkommission, gab Anweisungen, ließ sich über
das Ergebnis von ihr in Auftrag gegebener Anweisungen informieren und verteilte
neue Aufgaben. Das ganze System war auf ihre Person zugeschnitten. Sie hatte es
im Laufe vieler Jahre so eingerichtet, und da sie erfolgreich war, waren alle
Versuche unzufriedener Mitarbeiter, ihre Position zu untergraben, vergebens geblieben.
»Deutschland ganz oben« war ihr Revier, zumindest was die Verfolgung schwerer
Straftaten anbetraf, für deren Aufklärung das Kommissariat 1 zuständig war, das
gemeinhin als »Mordkommission« bezeichnet wurde, obwohl die Aufgaben sehr viel
mehr Straftatbestände umfassten.
Vor ihrem Schreibtisch hockten zwei Beamte ihres
Sachgebiets und mussten sich von der Chefin erklären lassen, weshalb sie mit
der Art und der benötigten Zeit für die Erledigung zugewiesener Aufgaben
unzufrieden war.
Unwirsch warf die Hauptkommissarin einen Blick auf das
Telefon, das sie unterbrach.
»Dobermann«, bellte sie in den Apparat.
»Meyer, Polizei Gera«, antwortete die Stimme mit dem
ungewohnten Dialekt. »Wir sind ein Stück weitergekommen, Frau Kollegin.« Der
Thüringer legte eine Kunstpause ein, bevor er weitersprach. »Auf Grund der
Beschreibungen von zwei Nachbarn haben wir Phantomzeichnungen am Computer
entwickelt. Die Ergebnisse beider Aussagen decken sich zu einem großen Teil.«
»Was für Phantomzeichnungen?«, fragte Frauke Dobermann.
»Na, das sagte ich doch«, entrüstete sich Meyer. »Bei
der Kiesberger verkehrte doch gelegentlich ein Mann. Wir haben die Zeichnungen
mit unseren Dateien abgeglichen und das Ergebnis auch noch durch Erfurt
verifizieren lassen.«
»Wieso, was hat Erfurt damit zu tun?«, fuhr die
Hauptkommissarin dazwischen.
»Nun lassen Sie mich doch einmal ausreden. Wir pflegen
bei uns das Vorurteil, dass die Nordlichter immer ruhig und bedächtig sind. Sie
zerstören mit Ihrer Dynamik ja mein Weltbild. Erfurt ist unsere Landeshauptstadt.
Das nur für Sie zu Erläuterung. Dort befindet sich unser Landeskriminalamt. So weit – so gut. Jedenfalls haben wir jetzt den Namen eines
Verdächtigen. Die Kollegen sind noch einmal in der Wohnung von Rotraud
Kiesberger und versuchen, Fingerabdrücke oder andere Spuren zu ermitteln, die
unsere Vermutung festigen könnten. Wir gehen davon aus, dass der Mann sich in
der Wohnung seiner mutmaßlichen Freundin nicht mit Handschuhen bewegt hat.«
»Nun machen Sie es nicht so spannend, Herr Meyer. Wer
ist der Verdächtige?«
»Boris Kummerow ist sein Name. Er ist einundvierzig
Jahre alt und stammt wie die Kiesberger aus Kölleda in Thüringen. Vermutlich
kennen die beiden sich von daher. Sein letzter bekannter Wohnsitz ist Hersbruck
in Oberfranken. Kummerow ist gelernter Metzger, hat den Beruf aber nie
ausgeübt, sondern in der Nationalen Volksarmee gedient. Nachdem ihr uns
okkupiert hattet, wurde er aus politischen Gründen nicht von der Bundeswehr
übernommen. Seitdem schlägt er sich mit
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