Küstenfilz
gelangen konnten.
»Jawohl, Frau Hauptkommissarin. Wir werden es wie aufgetragen ausführen.«
Die beiden Kommissare machten sich auf den Weg zu der
kleinen Anlage mit den Rotklinkerhäusern am Ufer der Schlei, nachdem sie Luis
Figueira heimgeschickt hatten.
Holtgrebe wollte den Motor starten, als Mommsen ihn
davon abhielt.
»Warte mal. Wir können uns nur auf die Aussage des
Zeugen stützen. Aber alles, was Figueira sagte, klang verlässlich. Wenn
Kummerow sich davongemacht hat und die Kiesberger mit David Joost allein ist,
dann haben wir eventuell eine Chance. Es sieht so aus, als wäre der Mann der
Gewalttätige. Er wird sich kaum um die Versorgung der Kinder gekümmert haben.
Es hieß aber, dass das tote Kind einen einigermaßen gepflegten Eindruck gemacht
hat. Das muss die Frau gewesen sein. Bei optimistischer Betrachtung können wir
hoffen, dass sie dem Kind nichts antut. Ein Auto scheint sie auch nicht zu
haben. Womöglich hält sie sich noch in Schleswig auf. Aber wo?«
»Hmmh«, brummte Holtgrebe und kratzte sich am
Hinterkopf. »Das klingt vernünftig. Wohin geht man mit einem Kind?« Er hob den
Zeigefinger wie in der Schule. »Die beiden Entführer sind nicht dumm. Davon
sollten wir ausgehen. Sie werden inzwischen bemerkt haben, dass die Ermordung
des kleinen Josh ein Fehler war, und können sich ausrechnen, dass wir ihnen auf
der Spur sind. Deshalb hat Kummerow das Weite gesucht. Dabei kümmert ihn das
Schicksal seiner Freundin wenig. Die irrt jetzt mit dem Kind durch Schleswig.
Also ich …«, überlegte Holtgrebe. »Ja? Was würde ich an ihrer Stelle machen?
Ich würde das Kind irgendwo aussetzen und mich dann aus dem Staub machen.«
»Das wäre eine normale Reaktion«, pflichtete ihm
Mommsen bei, »sofern man bei Verbrechern von normal reden kann. Und wenn die
Frau eine Blockade hat?«
»Was meinst du damit?«
»Wenn sie sich für das Kind verantwortlich fühlt?
Gegen sie ist noch nie wegen schwerwiegender Straftaten ermittelt worden. Sie
ist mit der Situation überfordert und weiß nicht, was sie tun soll.«
Holtgrebe nickte zustimmend. »Also ist sie planlos in
Schleswig unterwegs. Sie kennt die Stadt aber nicht. Oder kaum. Dann
konzentrieren sich die Kreise auf das Zentrum. Die Fußgängerzone.«
»Richtig. Oder einen anderen zentralen Ort. Mit
Sicherheit nicht ein Museum oder der Dom.«
»Was hindert uns daran, einmal den Stadtweg bis zum
Gallberg abzulaufen?«, schlug Holtgrebe vor.
Kurz darauf liefen sie durch die Fußgängerzone,
schauten dabei in Cafés, Eisdielen und Imbissstuben, Spielwarenläden und ließen
auch das Kaufhaus nicht aus. Selbst in die Kinderbuchabteilung der großen
Buchhandlung kurz vor dem Capitolplatz schauten sie hinein. Doch auch im
zweiten Teil der Fußgängerzone einschließlich der kleinen Passage konnten sie
keine Spur von Rotraud Kiesberger und ihrer Geisel entdecken.
Auf dem Rückweg machten sie einen Bogen und gingen am ZOB vorbei. Dort saß ein Zivilfahnder
der Schleswiger Schutzpolizei auf der Bank und schüttelte als Zeichen dafür,
dass nichts geschehen war, kaum merklich mit dem Kopf.
»Es war einen Versuch wert«, sagte Holtgrebe, und ein
Hauch Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. »Gehen wir zum Wagen zurück
und fahren wir zur Wohnung.«
Mommsen hielt ihn am Arm fest. »Es ist doch kein Umweg
zu diesem Einkaufszentrum?«
»Du meinst, zum Schleicenter?«, fragte Holtgrebe.
»Wenn es so heißt. Das meine ich.«
Holtgrebe nickte. »Von mir aus.«
Zwischen der Fußgängerzone und der parallel dazu
verlaufenden Königstraße lag das Schleicenter mit seiner überschaubaren Auswahl
an Geschäften, die ein Verbrauchermarkt eindeutig dominierte.
Die beiden Kommissare betraten die Einkaufspassage und
sahen die beiden gesuchten Personen schon von Weitem. Im Gang zwischen den
Geschäften standen ein paar Bänke. Gleich auf der ersten hockte Rotraud
Kiesberger. Trotz der angenehm frühsommerlichen Temperaturen trug sie eine
Jacke aus bunten Stofffetzen. Ihre Haare wirkten ungepflegt und passten zur
Blässe ihres ungeschminkten Gesichts. Die Augen lagen tief in den Höhlen und
waren von dunklen Ringen untermalt. Wie ein Mensch auf der Flucht ließ sie
ihren Kopf kreisen und beobachtete die Menschen, die achtlos an ihr
vorübergingen. Ihren Arm hatte sie um die Schulter des kleinen Jungen gelegt,
der friedlich neben ihr saß, die Beine, die nicht bis zum Boden reichten,
baumeln ließ und mit den Fingern Pommes aus einer durch Ketchup
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