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Küstenfilz

Küstenfilz

Titel: Küstenfilz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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rot
verschmierten Spitztüte angelte. Die roten Spuren waren auch rund um den Mund
des Kindes verteilt.
    Der kleine David drehte den Kopf zu seiner Bewacherin
und sagte etwas zu ihr. Daraufhin reichte sie dem Kind einen Pappbecher mit
einem Getränk, den sie in der linken Hand hielt. Der Junge nahm einen Schluck
und widmete sich dann wieder seinen Pommes.
    Die Polizisten gingen, scheinbar in ein Gespräch
vertieft, achtlos an den beiden vorbei und beobachten dabei die Umgebung, ob
sich dort Kummerow aufhielt, von dem sicher eine große Gefahr ausging. Die
Anzahl der Besucher des Einkaufscenters hielt sich um diese Zeit in Grenzen.
Vom mutmaßlichen Mörder war nichts zu sehen. Am Ende der Passage drehten sich
die Kommissare um und schlenderten gemächlich zurück. Kurz vor der Bank, auf
der Rotraud Kiesberger saß, trennten sie sich. Während Holtgrebe von hinten an
die Frau herantrat, näherte sich Mommsen von vorn. Wie zufällig blieb er vor
der Kindesentführerin stehen, bückte sich nach seinem Schuh und drehte sich
dabei ein wenig zur Seite. Dann schnellte er aus dem Stand hoch und packte die
völlig überraschte Frau bei den Unterarmen. Sie reagierte überhaupt nicht.
Wahrscheinlich lag es auch daran, dass ihr Reaktionsvermögen durch durchwachte
Nächte nahezu ausgeschaltet war. Parallel zu Mommsens Aktion hatte Holtgrebe
von hinten das Kind gepackt und über die Bank hinweggehoben. Er umarmte den
kleinen Jungen, der heftig anfing zu schreien und zu strampeln, und stürzte mit
dem Kind auf dem Arm in die Tiefe eines der Shops, um aus der nach allen Seiten
offenen Passage zu entkommen.
    Passanten blieben stehen und beobachteten mit vor
Staunen geöffnetem Mund das Geschehen. Doch keiner mischte sich ein.
    Rotraud Kiesberger zeigte keine Gegenwehr.
Widerstandslos stand sie auf, blickte über die Schulter in die Richtung, in die
Holtgrebe verschwunden war, und stammelte: »Das Kind. Er soll auf das Kind
aufpassen.«
    »Kommen Sie, Frau Kiesberger«, sagte Mommsen mit
sanfter Stimme und führte die Frau vorsichtig zum Ausgang. »Für den Jungen ist
gesorgt. Haben Sie keine Sorge.«
    Sie sah Mommsen aus ihren übernächtigten Augen an.
Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Ich bin froh, dass alles vorbei ist«,
sagte sie mit kaum wahrnehmbarer Stimme und fing leise an zu weinen.
    »Wo ist Kummerow?«, fragte Mommsen.
    »Der ist weg. Abgehauen.«
    »Wohin?«
    »Keine Ahnung.«
    »Wer hat Sie angestiftet?«
    Sie schluchzte tief. Dann zog sie die Nase kräftig
hoch. »Ich weiß es nicht. Boris hat alles arrangiert. Ich bin da irgendwie mit
hineingeraten«, kam es zögernd über ihre Lippen.
    »Irgendwer muss doch den Auftrag erteilt haben?«
    »Wissen Sie, wie es ist, wenn man arbeitslos ist? Man
läuft immerzu nur um den eigenen Häuserblock, weil man sich nichts mehr leisten
kann. Boris hat gesagt, wie würden ein paar Tage ausspannen. Sie glauben nicht,
wie glücklich ich darüber war. Und dann das …«
    Mommsen war vor der Tür des Schleicenters stehen
geblieben. Er hielt die Frau im Arm, die sich gegen ihn lehnte und ihr Gesicht
zwischen seiner Schulter und dem Kopf verbarg. Er merkte, wie ihre Tränen die
Stelle durchnässten. Sie sprach nicht. Nur ihr Schluchzen war zu hören. Es
vergingen wenige Minuten, bis zwei blau-silberne Streifenwagen mit
quietschenden Reifen vor der Tür hielten. Mommsen hatte richtig vermutet, dass
Holtgrebe die Schleswiger Zentralstation informiert hatte.
    »Der Kollege ist im Center, gleich vorn rechts«, rief
Mommsen der Besatzung des ersten Wagens zu, während sich die beiden Polizisten
des zweiten Fahrzeugs ihm näherten.
    »Mommsen, Kripo Husum«, erklärte er den misstrauischen
Uniformierten. »Nehmen Sie sich bitte der Frau an und bringen Sie sie auf die
Dienststelle«, bat er und löste sich behutsam aus der Umklammerung Rotraud
Kiesbergers, die sich von den beiden Streifenpolizisten zum Einsatzwagen führen
ließ.
    Mommsen kehrte ins Schleicenter zurück. Unterwegs kam
ihm Holtgrebe entgegen, der den sich immer noch heftig wehrenden David Joost
auf dem Arm hielt. Es würde nicht mehr lange dauern, und die Qual des Kindes
war beendet. In kurzer Zeit würde das Kind wieder bei seinen Eltern sein.
Mommsen strich dem Jungen über die Haare. Überraschend hörte David mit seiner
Gegenwehr auf und streckte Mommsen instinktiv die Arme hin, sodass Mommsen das
Kind auf dem Arm hielt.
    »Wir fahren jetzt mit dem Polizeiauto. Was hältst du
davon, David?«, fragte er ihn.

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