Küstenfilz
»Dabei machen wir das Blaulicht an, und dann
machen wir ganz viel Krach. Ganz laut Tatütata. Und dann kommen Mama und Papa
und holen dich ab.«
Mommsen hatte es geschafft, dass der Anflug eines
Lächelns über das Kindergesicht huschte.
»Au ja«, sagte der Junge. »Aber Josh muss auch
mitkommen. Mein Bruder soll auch Tatütata fahren.«
Mommsen verschlug es für einen Moment den Atem. Was
hätte er dem Kind antworten sollen?
»Ja«, sagte er leise und schämte sich im Stillen für
diese Antwort.
*
»Was?«, brüllte Lüder gegen den Motorlärm an. »Was
haben Sie gesagt?«
Aus den Lautsprechern des Autos scholl ihm Frauke
Dobermanns ruhige Stimme entgegen. »Warum brüllen Sie so? Ist Ihr Telefon
kaputt? Ich sagte: Wir haben das Kind nach einem erfolgreichen Zugriff in
Schleswig. Es scheint nach ersten Erkenntnissen physisch gesund. Die Eltern
sind benachrichtigt und wahrscheinlich schon auf der Schleswiger Dienststelle.«
Das war in der Tat eine überraschende Neuigkeit. Lüder
fiel ein Stein vom Herzen. Diese Nachricht war wohl die beste, die er im
Verlauf dieses Falles vernommen hatte. Das Kind war in Sicherheit. Gott sei
Dank.
»Hat die Frau schon gestanden?«
»Nur Unzusammenhängendes. Sie hat alle Schuld auf den
flüchtigen Kummerow geschoben. Sie gibt vor, weder etwas über das Motiv noch
über die Hintermänner zu wissen.«
»Warum musste der kleine Josh sterben?«
Frauke Dobermann schluckte hörbar am Telefon, bevor
sie mit leiser Stimme antwortete: »Weil er Heimweh hatte und nicht aufhörte,
nach seiner Mutter zu rufen. Die Kiesberger sagte, dass Kummerow darüber
genervt war und fürchtete, das greinende Kind würde sie auffliegen lassen.
Deshalb hat er mehrfach versucht, den Kleinen auf seine Art ruhigzustellen, nachdem es der Frau nicht gelungen war. Als er das tote Kind
wegbrachte, soll er gesagt haben: Ich werde jetzt ein Zeichen setzen. Offenbar
war er mit der Gesamtsituation überfordert.«
»Wissen wir, ob Kummerow auch der Absender der
Briefbombe war?«
»Die hat Rotraud Kiesberger in seinem Auftrag
aufgegeben. Sie sagt, sie wusste nichts vom Inhalt und hat sich das Ganze erst
zusammengereimt, als sie davon in den Nachrichten hörte.«
»Kann es sein, dass die Frau jetzt auf der
Mitleidsmasche reitet und die Unschuldige spielt?«
»Schwer zu sagen«, sagte Frauke Dobermann. »Das werden
wir in langwierigen Verhören ergründen. Außerdem müssen wir dem Staatsanwalt
auch noch etwas übrig lassen. Was haben Sie jetzt vor?«
»Ich bin zu einem Rendezvous mit Patachon unterwegs.«
»Was?«, fragte die Hauptkommissarin.
Lüder lachte. »Warum brüllen Sie so? Ist Ihr Telefon
kaputt?«
Doch seine Gesprächspartnerin ging auf diesen Scherz
nicht ein. »Sie haben einen gewöhnungsbedürftigen Humor«, stellte sie fest.
»Bis später.«
Lüder war kurz vor Kiel. Der Verkehr lief zähflüssig,
und er kam nur schleppend voran. Abgesehen davon, dass die Leute südlich der
Elbe immer von der irrigen Vorstellung ausgingen, dass Hamburg fast an der
dänischen Grenze liegen würde und Schleswig-Holstein allenfalls ein schmaler
Grünstreifen dazwischen wäre, musste man die Rushhour in den Vororten der
Landeshauptstadt selbst erlebt haben. Aber sicher ist es in und rund um die
Metropolen in südlicheren Gefilden noch kritischer, räumte Lüder ein, die anderen Metropolen, ergänzte er für sich selbst. Er kämpfte mit sich, ob er nicht
kurz zu Hause vorbeischauen sollte, beschloss dann aber schweren Herzens, an
Kiel vorbei direkt in den Naturpark Hüttener Berge zu fahren. Dort, am
romantischen Bistensee, lag das Seehotel Töpferhaus, das zu dem guten Dutzend
deutscher Gourmetrestaurants gehörte, die mit zwei oder mehr Michelinsternen
gekürt waren.
Auf dem Parkplatz fand er den Audi A6 mit dem Bad
Homburger Kennzeichen, von dem der Kappelner Polizist berichtet hatte. Das war
ein Indiz dafür, dass Konstantin Schmiedel, den er bisher Patachon genannt
hatte, anwesend war. Zu Lüders Überraschung standen aber noch zwei weitere
Fahrzeuge auf dem Parkplatz. Der schwarze Mercedes CLK mit dem Düsseldorfer Kennzeichen gehörte Dr. Dr.
Buurhove. Mit etwas Fantasie konnte man sich zusammenreimen, dass der
beigefarbene Saab aus Mülheim an der Ruhr, der zwei Plätze weiter stand, das
Eigentum von Willi Kwiatkowski, dem Privatdetektiv, war. Der gute Ruf des
Hotels schien sich auch bei den Leuten herumgesprochen zu haben, die im Auftrag
mächtiger Konzerne das Feld für künftige Engagements
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