Küstenfilz
Lüder hinüber und sprach leise
weiter. »Ich habe für mich beschlossen, dennoch weiter am Ball zu bleiben.«
»Hmh! Mir haben Sie vor nicht langer Zeit merkwürdige
Ermittlungsmethoden vorgeworfen.«
»Da gab es auch noch keine Entwicklung wie diese.«
Er reichte ihr die Hand. »Mich hat noch keiner aus dem
Rennen genommen. Willkommen im Team.«
Sie sah ihn erstaunt an, erwiderte aber seinen
Händedruck. »Warum so pathetisch?«, fragte sie, machte aber keine Anstalten,
seine Hand wieder loszulassen. »Und? Was unternehmen wir jetzt?«
Lüder berichtete von seinen Besuchen beim Landrat und
in Meldorf.
»Dabei fällt mir ein«, unterbrach ihn die
Hauptkommissarin. »Wir haben den Taxifahrer gefunden, der Harry Senkbiel heute
Morgen aus dem Krankenhaus abgeholt hat. Der Mann war kaum bewegungsfähig, hat
sich aber zum Bahnhof in Rendsburg bringen lassen. Die Fahrkarte muss sich
Senkbiel aus dem Automaten gezogen haben. Wir wissen also nicht, wohin er
gefahren ist.«
»Der Typ fällt mit seinen Krücken doch auf.«
»Schon möglich. Im Bahnhof gibt es einen Zeitungskiosk.
Dort kann man sich nicht an Senkbiel erinnern. Und in den Zügen gibt es keine
Schaffner mehr. Die Fahrgäste kennen wir nicht. Wir müssten einen Aufruf in der
Presse starten.«
»Und dazu fehlt uns die rechtliche Handhabe.«
»Es ist ausgesprochen merkwürdig, dass die Entführer
noch keine Forderungen gestellt haben.«
»Oder sie wollen etwas anderes von Joost als Geld.
Vielleicht hat er etwas oder weiß etwas, was für die Täter wichtig ist«, sagte
Lüder.
»Und wenn Joost nur als Druckmittel für andere
eingesetzt wird? Wenn die Erpressung gar nicht ihm, sondern dem Landrat gilt?«
»Das wäre eine aberwitzige, aber nicht unmögliche
Erklärung. Schließlich ist das andere Opfer, Rasmussen, im gleichen Umfeld
tätig.«
»Welche Funktion hatte eigentlich der Staatssekretär in
der Landesregierung?«, fragte Frauke Dobermann.
»Haben Sie Internet?«, antwortete Lüder mit einer
Gegenfrage.
Gemeinsam hockten sie sich vor den Bildschirm. Wenige
Minuten später wussten sie, dass Heiner Windgraf für Technologie und Energie
zuständig gewesen war.
Lüder sah aus dem Fenster. Es war nur noch ein letzter
Schimmer Tageslicht zu erkennen. Wenn im Mai in Flensburg der Tag fast der
Nacht gewichen war, musste es kurz vor Mitternacht sein. Ein Blick auf seine
Uhr bestätigte es ihm.
»Ich werde jetzt nach Hause fahren«, beschloss Lüder.
»Mehr können wir im Augenblick nicht veranlassen.«
Erneut stand ihm eine lange Fahrt durch
Schleswig-Holstein bevor.
VIER
Das morgendliche
Konzert der Vögel war einem sporadischen Zwitschern gewichen. Die Sonne stand
schon relativ hoch am Himmel und schickte ihre Strahlen auf das leuchtende
Blütenmeer der Stauden, die jetzt das Bild in Lüders Garten beherrschten.
Margit biss von
ihrem Brötchen ab.
»Beim Bäcker habe
ich die Schlagzeilen gelesen. In Schleswig sind die Kinder eines
Spitzenpolitikers entführt worden. Die Eltern sind verzweifelt, und die Polizei
ist ratlos. Hast du von dieser Sache gehört?«
Lüder stieß sie
unterm Tisch vorsichtig gegen das Schienbein und lächelte dabei.
»Du solltest noch
einmal abbeißen, bevor du mir etwas erzählst. Dann verstehe ich dich noch
deutlicher.« Er streckte seinen Arm aus und killerte der kleinen Sinje am
Bauch, was diese mit einem vergnügten kindlichen Glucksen und einem strahlenden
Lächeln erwiderte.
Margit fuhr sich mit
der Hand an den Mund. »Verzeihung«, sagte sie, »aber wir haben selten genug
Gelegenheit, gemeinsam zu frühstücken.«
Lüder sah auf seine
Uhr. Es war bereits neun. »Die Freiheit nehme ich mir heute. Schließlich bin
ich erst um zwei Uhr zu Hause gewesen.«
Er ließ unerwähnt,
dass er nach seiner Rückkehr noch eine Weile wach gelegen hatte, bevor ihn der
Schlaf schließlich doch übermannte.
Margit hatte einen
weiteren Bissen zu sich genommen und zu Ende gekaut, bevor sie Lüder fragte: »Hast du von dieser Entführung gehört?«
»Entfernt.«
»Schließlich sind es
die Kinder eines Spitzenpolitikers. Das fällt doch auch in euer Ressort. Wer
ist es denn?«
Er lächelte. »Wenn
ich es wüsste, würde ich dir weder einen Namen verraten noch dich in
Einzelheiten einweihen. Außerdem ist der Vater kein Spitzenpolitiker, sondern
Beamter.«
»Aber in der Zeitung
steht doch …« Plötzlich bemerkte sie, dass er doch um die Einzelheiten wissen
musste, sonst hätte er ihr nicht sagen können, dass es sich bei
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