Küstenfilz
Meinung, dass die Veranstaltung erst am Donnerstag begonnen hat.«
»Dann muss er sich
irren«, erwiderte Holger Rasmussen.
Lüder bemerkte, dass
der Mann ihm bei der Antwort nicht in die Augen sah.
»Ich wünsche Ihrer
Frau gute Besserung.«
Lüder verließ die
Uniklinik und schaltete sein Handy erst vor dem Gebäude wieder ein. Er hatte
seinen BMW noch nicht erreicht,
als sich die Mobilbox meldete. Der Landrat aus Schleswig bat um seinen Rückruf
auf seinem Mobiltelefon. Er meldete sich mit »Hallo«.
»Herr von
Halenberg?«, vergewisserte sich Lüder.
»Ja, am Apparat.
Lassen Sie mich vorweg erklären, dass es nicht um Konventionen geht, wenn ich
sage, dass ich Graf von Halenberg heiße.«
Lüder war ein wenig
ungehalten. Er hatte für die Marotten des Adels wenig Verständnis. Natürlich
waren die Halenbergs eine Familie mit geschichtsträchtiger Vergangenheit.
»Sie erwarten nicht,
dass ich Sie mit Durchlaucht, Schnittlauch oder Herr Landvogt anrede?«
»Gerade darauf
wollte ich Sie aufmerksam machen. Dann würde die Anrede Graf Henrik von
Halenberg lauten. Adelsprädikate wurden in der Weimarer Republik aber
abgeschafft, und der ›Graf‹ wurde Namensbestandteil. So heiße ich eben nicht
Graf Henrik, sondern Henrik Graf von Halenberg. Ich wollte Ihnen aber sagen,
dass man mich üblicherweise mit von Halenberg anredet. Die Erklärung dient nur
der Klarstellung in der Papierform.«
»Sie wollten mir
aber bestimmt keinen Vortrag über die deutsch-dänische Geschichte halten?«
»Ich würde gern noch
einmal mit Ihnen sprechen.«
Lüder sah auf die
Uhr. »Ich könnte in einer knappen Stunde bei Ihnen sein.«
»Nein«, wehrte der
Landrat ab. »Ich ziehe einen neutralen Ort vor. Wollen wir uns zum Mittagessen
im Hotel Aurora in Kappeln treffen? Es befindet sich direkt am Rathausmarkt.«
Lüder willigte ein.
Kappeln liegt am
östlichen Ende der Schlei, kurz bevor diese in die Ostsee mündet. Das schmucke
Städtchen ist nicht nur ein zentraler ländlicher Ort an der Grenze zwischen
Angeln und Schwansen, sondern kann auch mit einer Reihe touristischer
Sehenswürdigkeiten aufwarten. Mitten am engen Rathausmarkt lag das Restaurant,
das Landrat von Halenberg als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Nachdem es in der langjährigen Fernsehserie »Der Landarzt« eine zentrale Rolle gespielt hatte,
war es selbst zu einem Besuchermagnet geworden, zumal es mit dem Ur-Kieler
Heinz Reincke in Verbindung gebracht wurde.
Vor dem
ochsenblutroten Haus mit den weiß umränderten Sprossenfenstern waren zahlreiche
Tische für die Außengastronomie aufgestellt. Da Lüder den Landrat nicht
entdecken konnte, betrat er das Innere des Restaurants.
Auch hier war alles
auf die Fernsehserie abgestellt. Einen großen Ecktisch zierte ein schwerer
Aschenbecher, auf dessen Bügel »Landarztstammtisch« zu lesen war.
Von Halenberg saß in
einer Ecke der rustikalen Gaststube und wartete schon. Er erhob sich, als Lüder
an den Tisch trat, und fragte, ob Lüder eine gute Fahrt gehabt und den
Treffpunkt schnell hatte finden können. Sie warfen einen Blick in die
umfangreiche Karte mit vielen regionstypischen Gerichten und bestellten.
»Sie wollten mir ein
Protokoll der Ausschusssitzung zukommen lassen«, begann Lüder.
»Ich habe es nicht
vergessen, aber wir konnten es noch nicht fertigstellen, da Herr Joost aus
bekannten Gründen verhindert ist.«
»Warum beharrt
Rasmussen darauf, dass die Tagung bereits am Mittwoch begonnen hat?«, fragte
Lüder.
Der Landrat
hüstelte. Es klang fast ein wenig verlegen. »Das ist es, weshalb ich mit Ihnen
sprechen wollte. Ich fühle mich nicht wohl dabei, Ihnen das jetzt
anzuvertrauen, insbesondere da Rasmussens Frau schwer verletzt wurde.«
Sie wurden durch die
Bedienung unterbrochen, die die Getränke brachte. Vorsichtig nippte von
Halenberg an seinem Weißwein.
»Ich weiß nicht, wie
ich beginnen soll. Rasmussen ist ein redlicher Mann, fest mit der Schlei
verwurzelt. Eine ehrliche Haut, der auch in der Politik die Meinung seines
Gegenübers gelten lässt. Nur in einem Punkt hat seine von mir so positiv
dargestellte Persönlichkeit einen dunklen Fleck: Er hat ein Verhältnis.«
Diese Möglichkeit
hatte Lüder durchaus in Erwägung gezogen. »Deshalb hat er sich unter dem
Vorwand, in politischer Mission unterwegs zu sein, davongestohlen und
behauptet, bereits am Mittwoch in Sankelmark gewesen zu sein?«
»Ich vermute es«,
sagte der Landrat. »Wir sind zwar Parteifreunde und arbeiten auch
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