Küstenfilz
»Sie werden von uns hören. Und Ihre Frau ebenso.«
Erst als sie im Auto saßen, sagte der Oberkommissar: »Es ist nicht überraschend, wenn in einem Labor wie dem von Herrn Blasius
Materialien gefunden werden, die von Leuten mit Sachkunde zum Bau eines
Sprengsatzes genutzt werden könnten. Wir haben aber nichts finden können, das
positive Rückschlüsse auf die beim Attentat auf Frau Rasmussen verwendete
Briefbombe zulassen würde.«
»Es hat also den Anschein, als hätte Blasius den
Sprengsatz nicht gebaut. Zumindest nicht in seinem Keller«, übersetzte Lüder
die vorsichtige Aussage des Kriminaltechnikers.
»Korrektamente«, pflichtete der zweite
Sprengstoffexperte bei. »Und jetzt? Zurück nach Kiel?«
»Ich würde gern noch einen weiteren Besuch in
Schleswig abstatten, auch wenn Ihre Anwesenheit dabei nicht erforderlich ist.«
Die beiden Kriminaltechniker hatten keine Einwände.
Kurz darauf hielt das neutrale Polizeifahrzeug vor dem
Wohnhaus des Landrats. Lüder stieg aus. Das Gebäude war rundum hell erleuchtet.
Schon von Weitem hörte Lüder ausgelassene Heiterkeit durch die Fenster nach
außen dringen.
Auf sein Klingeln hin öffnete Graf von Halenberg. Als
er Lüder erkannte, machte er einen überraschten Eindruck.
»Guten Abend, Herr, ähh …«
»Lüders. Vom Landeskriminalamt. Störe ich Sie bei
einer Party?«
»Nein«, stammelte der Landrat ein wenig verlegen. »Es
ist nur die Familie. Wir pflegen die Hausmusik. Und das hat durchaus seine
heiteren Seiten, da wir es nicht verkrampft angehen lassen. Es kommt uns nicht
auf das letzte i-Tüpfelchen an. Meine Frau und ich betonen mehr die
gesellschaftliche und unterhaltende Note. Es soll für die Kinder keine
Pflichtübung, sondern eine positive Erfahrung sein.«
Graf von Halenberg trug eine helle gürtellose
Leinenhose und ein kurzärmeliges Freizeithemd mit einem Hauch von Safarilook.
Die Füße steckten in bequemen Sandalen.
»Ich möchte mit Ihnen kurz über die Ermordung des
kleinen Josh Joost sprechen.«
In der Mimik des Landrats vollzog sich der gleiche
Wandel, den Lüder zuvor bei der Bürgermeisterin bemerkt hatte. Offensichtlich
gehörte es zum Vermögen von Politikern an verantwortlicher Stelle, auf
Knopfdruck ihrem Gesicht einen anderen Ausdruck verleihen zu können.
»Das ist eine schlimme Sache. Mir fehlen im Augenblick
die rechten Worte, um das ausdrücken zu können, was ich empfinde. Es ist
unfassbar, was Sophie und Joachim Joost widerfahren ist. Schließlich ist der
Vater mein engster Mitarbeiter.«
Das hält dich Heuchler aber nicht davon ab, den Abend
entspannt und ausgelassen zu verleben, dachte sich Lüder.
»Wollen wir unter dem Türrahmen miteinander
sprechen?«, fragte Lüder stattdessen.
Sie wurden durch ein junges Mädchen unterbrochen, das
aus einem Raum auf sie zukam. Der Teenager mochte fünfzehn Jahre sein und hatte
eine schlanke Gestalt. Jeans und Top waren passgenau. Lange dunkle Haare fielen
über die Schultern bis fast unter die Schulterblätter.
»Mam fragt, wo du bleibst«, sagte das Mädchen.
»Meine Tochter Chiara«, stellte Graf von Halenberg
vor. Zu dem Teenager gewandt erklärte er: »Sag Mam, ich habe dringenden Besuch
bekommen. Wir müssen einen Moment unterbrechen.«
»Okay«, antwortete Chiara, warf Lüder eine lässige
Handbewegung zu und verabschiedete sich mit einem »Ciao«.
»Kommen Sie bitte«, bat der Landrat und führte Lüder
in sein Arbeitszimmer im Obergeschoss. Nachdem er Lüder Platz auf einem
stoffbespannten Stuhl angeboten und sich selbst hinter den Schreibtisch gesetzt
hatte, fragte er: »Gibt es schon erste Ergebnisse bei der Suche nach den
Mördern?«
»Wieso sprechen Sie von Mördern im Plural?«
Graf von Halenberg sah irritiert auf. »Tut man das
nicht?«
»Es kann sich doch auch um einen Einzeltäter handeln.«
»Ja, natürlich.«
»Aus ermittlungstaktischen Gründen werde ich keine
Erklärungen zum aktuellen Stand abgeben. Dass die Polizei massiv in ihrer
Arbeit behindert wurde, ist Ihnen hinreichend bekannt. Sie selbst haben daran
maßgeblichen Anteil gehabt.«
»Ich konnte nicht anders. Joost hat mich bedrängt, im
Interesse seiner Kinder so zu handeln. Das war eine Forderung der Entführer.
Was macht man nicht alles zum Wohlergehen der Opfer«, klagte der Landrat.
»Wir haben den Verdacht, dass die Tat im Zusammenhang
mit der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Kreisentwicklung und Umwelt in
Sankelmark steht. Was wurde dort besprochen, das nicht im
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