Kullmann
durchs Fenster nach. Erst jetzt bemerkte sie, dass Kullmann einen zweiteiligen Anzug in Anthrazit trug, der seine leicht untersetzte Statur schlanker wirken ließ. Neugierig geworden beobachtete sie ihn. Er ging in Richtung Marthas Kneipe. Vermutlich hatte Martha Geburtstag, überlegte Anke, ließ sich jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken, weil die Arbeit auf ihrem Schreibtisch drängte.
Es war schon Abend, als Hübner in ihr Büro gestürmt kam. Heftig knallte er die Tür hinter sich zu und schrie los: »Solltest du tatsächlich blind vor Liebe sein, dann wäre es vielleicht verzeihlich, was du machst. Du weißt vermutlich gar nicht, mit wem du dich abgibst!«
Daher wehte also der Wind, dachte Anke. Er hatte sie gestern Abend gesehen und war deshalb so hastig aus der Altstadt verschwunden.
»Was ich außerhalb des Dienstes mache, geht dich überhaupt nichts an«, blaffte Anke zurück.
Darauf ging Hübner gar nicht ein und fuhr erregt fort: »Ich liebe dich und meine es ehrlich mit dir. Bei Robert kannst du dir da nicht so sicher sein. Er ist ein Schmarotzer und Opportunist. Der Tod seiner steinreichen Tante kam genau zur richtigen Zeit; Robert lebt nämlich deutlich über seine Verhältnisse und braucht das Geld dringend. Außerdem ist immer noch unklar, was wirklich mit seiner Mutter passiert ist. Dieser Kerl ist noch lange nicht aus dem Schneider und – so einen ziehst du mir vor?«
Anke stand auf, stützte sich mit beiden Händen auf ihren Schreibtisch und schaute ihn mit funkelnden Augen an: »Deine Ehrlichkeit habe ich vor einigen Jahren kennen gelernt, und ich muss dir sagen, dass ich von dir geheilt bin, für den Rest meines Lebens«, erwiderte Anke. »Und was Robert angeht, kann ich bei dir wohl kaum von einer objektiven Beurteilungsfähigkeit ausgehen, weil du vor Eifersucht platzt. Mit dem Tod seiner Mutter hat er nichts zu tun, weil er ein festes Alibi hat, wie du weißt. Den Opportunisten dichtest du ihm gerne an, weil du selbst mit mir zusammen sein willst. Der Schmarotzer passt dir gerade in den Kram, weil du keine reiche Tante hast, die du beerben kannst.«
»Kapierst du es denn nicht: Er schleimt sich bei einer Polizistin ein, um sich aus der Schusslinie zu bringen. Wie du ihn in Schutz nimmst, beweist doch, dass sein Plan aufgegangen ist.«
»Hast du den ganzen Tag gebraucht, um mir diese Rede zu halten, oder warum kommst du erst jetzt damit zu mir?«, schimpfte Anke ungehalten. »Die Mühe hättest du dir sparen können. Es ist bald Feierabend. Ich habe keine Lust, meine freie Zeit mit einem eifersüchtigen Pinsel wie dir zu vergeuden. Besser du verschwindest jetzt, bevor ich dich rausschmeißen muss!«
»Von wegen »eifersüchtiger Pinsel«! Ich sehe alles viel objektiver als du und werde dir jetzt einmal zeigen, was Polizeiarbeit ist. Nämlich immer den Verstand einschalten, der dir abhanden gekommen ist. Du hast dir dein Hirn zunebeln lassen.«
Wütend verließ Hübner das Büro und knallte die Tür hinter sich zu.
Anke sprang vom Tisch auf, öffnete die Tür wieder und stürmte in Hübners Büro. Gerade sah sie noch, wie Hübner seine Waffe einsteckte und sich auf den Weg machen wollte, aber sie versperrte ihm den Weg: »Überschätz dich nicht! Du wirst doch nicht allen Ernstes schon vergessen haben, welche Scheiße du damals gebaut hast, nur weil dein Hirn wirklich zugenebelt war. Du hast unschuldige Menschen in Lebensgefahr gebracht und willst mir heute etwas von »Verstand einschalten« erzählen. Wenn hier einer den Verstand verloren hat, dann du!«
»Du wirst noch sehen, was in mir steckt. Ich werde dir nämlich heute noch beweisen, dass nur ich in der Lage bin, den schwierigsten Fall aller Zeiten zu lösen! Ich werde das fertig bringen, was der gesamte Polizeiapparat nicht geschafft hat, nämlich den Mann festzunehmen, der zwei unserer Kollegen auf dem Gewissen hat. Und wenn ich dann dein Chef bin, werden hier andere Zeiten beginnen. Dann werde ich dir nämlich nicht mehr so viel Leine lassen. Der Alte hat ja völlig den Überblick verloren. Allmählich büßt er seine Führungsqualitäten ein. Es wird endlich Zeit, dass ein Neuer kommt!«
Mit diesen Worten rannte Hübner aus dem Zimmer ins Treppenhaus.
Kopfschüttelnd ging Anke durch den Flur zurück, als sie hörte, wie Esche von seinem Schreibtisch aufsprang und hinter Hübner herrannte. Durch das Treppenhaus hörte sie die beiden heftig miteinander diskutieren.
Von ihrem Fenster schaute sie auf den Parkplatz
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