Kullmann
in Gedanken herunterspielte. Leider war das Wetter nicht sein Verbündeter, fluchte er vor sich hin. Diese Lichtverhältnisse und das unregelmäßige Donnern konnten ihm die Suppe versalzen. Deshalb war er nicht sicher, ob dieser Laut nun zu den Geräuschen des Gewitters gehörte oder nicht. Sein Hals fühlte sich trocken und kratzig an, was nicht zu der hohen Luftfeuchtigkeit passte. Der Wind wurde stärker, und leises Donnergrollen ertönte.
Er hatte das Haus gründlich untersucht, von allen Seiten. Jeder, der das Haus verließ, musste über den kleinen, erleuchteten Parkplatz gehen und konnte seiner Aufmerksamkeit einfach nicht entgehen. Seine Unsicherheit wuchs. War sein Zielobjekt noch im Haus? Oder sollte er einen Hinterausgang übersehen haben? Hatte er etwas von seiner Aktion geahnt und war unbemerkt herausgeschlüpft? Seine Rolle hatte sich schlagartig umgekehrt, überlegte Hübner gerade, als er etwas hörte, was nicht zum Gewittersturm gehörte. Nun wurde es eng für Hübner, Augen und Ohren musste er offen halten, nichts durfte ihm mehr entgehen. Aber sehen konnte er nicht viel, weil die dunklen Gewitterwolken nicht vorbeiziehen wollten. Immer wieder ertönte das leise Donnern vom Himmel, aber keine Blitze und kein Regen.
Angst kroch in ihm hoch, ein Gefühl, das er noch niemals in diesem Ausmaß erlebt hatte. Er bebte am ganzen Körper. Die Luft war so dick und zäh, dass er eine Gefahr zu schmecken glaubte. Er kam sich ausgeliefert vor, dabei hatte er gedacht, alles im Griff zu haben. Zur Sicherheit nahm er seine Waffe aus dem Holster und ging in geduckter Haltung ins Gebüsch, damit der Gegner ihn nicht sehen konnte. Wieder hörte er ein lautes Knacken, das ihn zusammenzucken ließ. Sein Verdächtiger war also doch ungesehen aus dem Haus gekommen, und er befand sich in großer Gefahr. Genau das hatte er vermeiden wollen. Nun war es doch passiert. So lautlos, wie er nur konnte, bewegte er sich auf das Geräusch zu, als es wieder von einer ganz anderen Seite kam. Trieben zwei Verbündete ein böses Spiel mit ihm? Die Geschichte vom Hasen und dem Igel kam ihm in den Sinn. So dumm wollte er nicht sein, hin und her zu rennen. Er durfte seine Vorsicht nicht aufgeben. Ihm dämmerte es, dass sich jemand in seiner Nähe aufhielt, der sich wie ein Wildtier im Wald auskannte. Jetzt erst erkannte er, wie steif und unbeweglich er geworden war, weil er die meiste Zeit des Tages am Schreibtisch verbrachte.
Aber diese einmalige Chance durfte er sich nicht entgehen lassen. Viel zu sicher war er sich, auf der richtigen Spur zu sein. Hoch konzentriert lauschte er den Geräuschen, die durch den heftigen Wind immer unbestimmter wurden. Bald konnte er das Krachen der Äste durch den Wind nicht mehr von den Geräuschen seines Gegners unterscheiden. Schweiß brach ihm aus und lief über den Rücken, so dass sein Hemd sofort kalt an ihm klebte. Immer wieder ertönte das Donnergrollen; die dunklen Wolken zogen immer schneller am Himmel entlang.
Hübner blickte wirr um sich. An einem Eichenstamm hatte sich schattenhaft etwas bewegt. Eine Zeit lang starrte er die Umrisse des Baumstamms an. Da war es wieder, als wollte jemand aus seinem Versteck herauskommen; aber das Bild verflüchtigte sich. Hübner wurde ärgerlich, er glaubte plötzlich, seine Zeit sei jetzt gekommen. Mit vorgestreckter Waffe näherte er sich der Stelle, geduckt und langsam. Er wollte nichts überhasten und damit alles zerstören. Dass die Hand, die die Waffe hielt, zitterte, nahm er nicht wahr. Als er nur noch wenige Meter von dem Baum entfernt war, sprang er blitzschnell auf. Aber hinter dem Baum war nichts. Sollte er sich das eingebildet haben? Es war ihm, als habe sein Magen ein Loch; er musste alle seine Kraft aufwenden, um davon nicht verschlungen zu werden. Seine schreckhaft aufgerissenen Augen rasten in alle Richtungen, konnten aber niemanden sehen.
Er glaubte plötzlich, ein leises, höhnisches Lachen zu hören. Oder war es nur der Wind, der ihm einen üblen Streich spielte? Schnell duckte er sich wieder und durchstreifte das Dickicht. Die Dornenranken zerrten an seinem Hemd und ritzten seine Haut, aber er störte sich nicht daran. Viel zu sehr konzentrierte er sich darauf, den Mörder in diesem Gestrüpp zu entdecken, denn nur dorthin konnte er von der Eiche aus geflohen sein.
Wieder hörte er das höhnische Lachen. Es war nicht der Wind, es war eindeutig ein Mensch, der sich ganz in seiner Nähe befand.
»Dir wird das Lachen noch vergehen!«,
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