Kullmann
rief Hübner nervös und kroch weiter durch das dichte Gestrüpp.
Da sah er ihn wieder!
Weit vor ihm, so dass er keine Chance hatte, an ihn heranzukommen, verschwand eine Gestalt hinter einer Dornenhecke. Nun hatte Hübner ein schweres Hindernis zu überwinden. Mühsam musste er sich erst wieder aus dem Gebüsch herauskämpfen, um das Phantom weiterverfolgen zu können. Allerdings musste er seinen Schutz aufgeben, wenn er bis zur Dornenhecke vordringen wollte; das Risiko war verdammt groß. Verzweifelt kämpfte er sich den Weg frei. Sein Hemd war inzwischen fast völlig zerrissen und seine Haut verkratzt. Ganz unvermittelt setzte nun auch noch der Regen ein und zwar so heftig, dass er schmerzhaft auf seinen Rücken trommelte. Mit schützender Hand vor seinen Augen schaute er zum Himmel und im gleichen Augenblick blendete ihn ein greller Blitz, der von einem lauten Donnern begleitet wurde. In Sekundenschnelle war Hübner nass bis auf die Haut. Der Regen platschte so laut, dass er nichts anderes mehr hören konnte als das einheitliche Rauschen, das an einen tosenden Wasserfall erinnerte. Gebückt rannte er hinter einen Baumstamm und näherte sich der Dornenhecke, obwohl er ahnte, dass sein Gegner längst nicht mehr dort war.
Ein Ast knallte an seinen Kopf. Erschrocken drehte Hübner sich um und sah eine Gestalt davonrennen. Nun hatte er ihn. Schnell sprintete er los und rief gegen Sturm und Regen: »Stehen bleiben, oder ich schieße!«
Tatsächlich blieb die Gestalt mit dem Rücken zu ihm stehen. Hübner schätzte den Abstand auf Meter. Ein so guter Schütze war er nicht, zumal er ausgepumpt war. Außerdem wusste er nicht endgültig, wen er vor sich hatte. Er hätte sich nicht auf Notwehr berufen können, wenn er den Fremden von hinten getötet hätte. Er hielt jetzt die Waffe vorschriftsmäßig in beiden Händen. Langsam setzte er sich in Bewegung. Er hatte keine Eile mehr. Beim Gehen versuchte er tief zu atmen, um zu Luft zu kommen und seine volle Einsatzfähigkeit zu erlangen. Da hörte er es wieder, dieses Lachen, diese hämische Verachtung. Es fraß sich in Hübner hinein und drohte ihn auszuhöhlen. In leichten Wellen überflutete ihn der Hohn. Hübner bangte um seine Reaktionsfähigkeit, wenn ihn mörderische Affekte überschwemmen sollten. Ausgerechnet in diesem entscheidenden Augenblick, kurz vor dem Ziel der Aufklärung der Polizistenmorde durch ihn.
Als Hübner ganz nah hinter den Fremden gekommen war, drehte sich dieser langsam um und schaute Hübner ins Gesicht.
»Du?«, staunte Hübner völlig fassungslos.
Er lockerte den Griff an seiner Waffe, ließ sie achtlos sinken. Den Blick hielt er unverwandt auf sein Gegenüber gerichtet.
Als dieser nichts darauf erwiderte, fügte er an: »Es ist besser, du gehst jetzt, weil ich im Begriff bin, den Polizistenmörder zu verhaften!«
Er ging nicht; beharrlich blieb er vor Hübner stehen.
Fassungslos schaute Hübner ihn an, fing endlich an zu begreifen: »Du hast mich hier die ganze Zeit beobachtet?«
»Ja!«
»Und du beobachtest mich nicht erst jetzt! Warum?«
»Ich kann tun und lassen, was ich will!«
»Ich verstehe nicht!«, stammelte Hübner außer sich vor Angst.
Es ging ganz schnell, im Bruchteil einer Sekunde schaute Hübner in den Lauf seiner eigenen Waffe.
Hübner wollte es nicht glauben. Nervös fragte er: »Was willst du?«
»Sag du es mir«, lachte er listig.
Aber schlagartig wurde er ernst: »Du wolltest doch schon immer im Mittelpunkt des Interesses stehen! Genau das wird dir heute gelingen! Auf Interesse wirst du jetzt wahrhaftig stoßen. Auf großes Interesse! Ich frage mich nur, ob du es dir so vorgestellt hast!«
Ein Blitz erhellte den Wald und Hübner sah in kleine, hasserfüllte Augen. Dann krachte ein ohrenbetäubender Donner vom Himmel.
*
Das Donnern entfernte sich langsam und wurde leiser. Anke ging ans Fenster und schaute zum Himmel. Schwache Blitze erleuchteten noch den Himmel und gaben den Blick auf die dichten Wolken frei, die langsam ihre Bahnen zogen. Der Zeitraum zwischen Blitz und Donner wurden immer größer, der Wind schwächer. Schwaches Wetterleuchten und starker Regen zeugten von dem heftigen Gewitter, das sie an ein Inferno erinnert hatte. Zurück blieb eine stille, schwarze Nacht. Anke öffnete das Fenster und ließ die frische Luft herein. Die Luft war wie gereinigt von dem heftigen Gewitter. Endlich konnte sie die Aktenarbeit abschließen. Sie hatte nur noch einen Gedanken: nach Hause gehen und schlafen.
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