Kullmann
hinunter. Obwohl es erst Nachmittag war, wurde es plötzlich dunkel. Anke schaute zum Himmel und sah, dass sich schwarze Wolken zusammenzogen. Wind kam auf und wirbelte die Blütenblätter, die sich im Hof gesammelt hatten, auf. Der Wind wurde so heftig, dass die Fensterscheibe zu vibrieren begann. Ein Gewitter braute sich zusammen.
Sie sah Hübner und Esche auf dem Parkplatz. Der Wind blies so heftig, dass er an ihren Kleidern zerrte. Aber das hielt die beiden nicht davon ab, sich weiter zu streiten. Im Gegenteil, je heftiger der Wind wurde, desto wilder wurden die Gesten der beiden, die, wie es schien, zu keinem Ergebnis kamen. Hübners Gesicht leuchtete unter seinen zerzausten blonden Haaren dunkelrot vor Zorn, während Esches Miene teuflische Züge annahmen. »Was ist Esche nur für ein Mann«, fragte Anke sich, als sie ihn so sah. Einerseits sah er so verdammt gut aus, dass er faszinierte, andererseits strahlte er eine diabolische Boshaftigkeit aus. Er war geheimnisvoll und doch wieder gewöhnlich, er war ein Blender und vulgär. Die Gegensätze, die in ihm steckten, waren es, die ihn so undurchschaubar machten, die ihm seine Sicherheit gaben, sich jede Grenzüberschreitung leisten zu können. Er war raffiniert, nichts schien seinen guten Ruf in der Abteilung erschüttern zu können. Sie musste aufpassen, nicht von ihm an die Wand gedrückt zu werden. Der starke böige Wind flaute ab, nachdem Hübner mit seinem Wagen losgebraust und Esche ins Gebäude zurückgekehrt war. Die Wolken hingen tief und krochen düster und gespenstisch über den Himmel.
Nachdenklich kehrte Anke an ihren Schreibtisch zurück. Die Luft war inzwischen so schwül geworden, dass ihr bei der kleinsten Bewegung der Schweiß ausbrach. Aber ihre Gedanken wollten nicht zur Ruhe kommen. Was ging nur in Hübner vor, dass er sich so impulsiv aufspielte? Ihre Beziehung zu Hübner war Schnee von gestern, auch wenn sie sich gelegentlich an diese Zeit erinnerte. Jetzt wartete ein Berg unangenehmer Schreibarbeit auf sie, die ihre ganze Konzentration verlangte. Seufzend setzte sie die monotone Beschäftigung fort, als sie das erste leise Donnern hörte, das ein Gewitter ankündigte. Bei solchem Wetter fiel es ihr nicht schwer, weiter zu arbeiten.
*
Hübner wartete inzwischen schon lange vor dem Haus, in dem sich bei zunehmender Dunkelheit immer mehr Lichter einschalteten. Es wird früh dunkel, dachte er und schaute nervös zum Himmel hoch. Die Wolken hatten sich zusammengezogen und die Luft wurde erdrückend schwül, was sein Vorhaben ins Schwanken bringen konnte. Aber er musste beharrlich bleiben. Schließlich stand er kurz davor, den Polizistenmörder festzunehmen, der schon zwei seiner Kollegen kaltblütig erschossen hatte. Da musste er auf der Hut sein. Er wollte den Überraschungsmoment zu seinem Vorteil nutzen.
Zufrieden mit seiner Strategie vertrat er sich ein wenig die Füße. Hinter ihm war nur Wald und vor ihm lag das Haus, in dem der mutmaßliche Mörder sich aufhielt. Abwarten war das einzige, was ihm nun zu tun blieb, bis der Mörder heraustrat. Dann kam Hübners großer Moment. Ganz einfach war sein Plan, und hinterher würde er der Held sein, der dem Schrecken ein Ende gemacht hatte. Diese Gedanken erfüllten ihn mit großer Zufriedenheit. Anke würde staunen, wenn sie erst einmal sah, wie gut er als Polizeibeamter wirklich war. Sicherlich verliebte sie sich auch wieder in ihn. Schließlich waren sie schon einmal zusammen glücklich gewesen, und die Zeit war wunderschön gewesen. Sie musste sich einfach wieder erinnern, wie gut sie beide doch zusammenpassten und wie viele Pläne sie damals geschmiedet hatten. Jetzt war immer noch genügend Zeit, alle ihre Pläne zu verwirklichen. Er spürte, dass sie es schon oft bedauert hatte, ihn damals verlassen zu haben, es ihm nur noch nicht gesagt hatte. Aber nun, sobald er ihr bewiesen hätte, dass nur er in der Lage war, den Fall zu lösen, würde sie wieder zu ihm zurückkommen. Sie musste eben überzeugt werden; dazu wollte er heute den Grundstein legen.
Wieder warf er einen prüfenden Blick auf das hell erleuchtete Haus, als er ein Geräusch hinter sich hörte. Erschreckt drehte er sich um, aber es war plötzlich so dunkel geworden, dass er nichts erkennen konnte. Wind kam auf und raschelte laut an den Büschen. Obwohl er völlig verunsichert auf dieses Geräusch reagiert hatte, versuchte er tunlichst dieses Gefühl wegzudrängen, indem er einfach über sich selbst lachte und die Angst
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