Kullmann
daran, dass Esche schon zweimal in den zwei Jahren, seit er in seiner Abteilung war, mit seiner einzelkämpferischen Methode erstaunliche Festnahmen zuwege gebracht hatte. Einmal kam er völlig überraschend mit dem Kindermörder aus Merzig hereinspaziert und ein Jahr später zelebrierte er dasselbe Schauspiel mit dem Raubmörder aus Saarlouis. Wenn er wieder auf diese Weise einen so wichtigen Fall wie diesen aufklärte, könnte Kullmann vielleicht die unübliche Arbeitsweise dulden. Aber ihn beschlich ein sehr ungutes Gefühl, weil Esche bei den letzten Ermittlungsarbeiten seine Professionalität eingebüßt hatte. Unter diesen ungünstigen, ja sogar gefährlichen Bedingungen durfte er seinen Mitarbeitern niemals so viel individuellen Spielraum bei der Bearbeitung eines Falles lassen. Jeder Einsatz, der in Kullmanns Abteilung anfiel, ging über seinen Schreibtisch; unabhängig davon, ob er zur erforderlichen Zeit persönlich anwesend war oder der Bereitschaftsdienst; Kullmann wurde immer informiert. An diesem Morgen war Kullmann nichts über einen Einsatz gemeldet worden, der Esches Anwesenheit erfordert hätte. Das wiederum bestätigte Kullmanns Befürchtung, dass Esche einen dunklen Alleingang unternehmen könnte. Sofort rief er bei Anke zu Hause an. Die neuesten Erkenntnisse gaben ihm Anlass, sich Sorgen um sie zu machen. Aber er hatte schon wieder kein Glück, Anke war nicht erreichbar!
Jürgen beobachtete ihn, schwieg aber und wartete, bis Kullmann von alleine sprach: »Ich mache mir Sorgen um Anke. Inzwischen habe ich eingesehen, dass ich ihr Unrecht getan habe. Ich bemühe mich seit gestern Abend, sie zu erreichen, leider erfolglos.«
»Inwiefern hast du Anke Unrecht getan?«, fragte Jürgen.
Etwas mutlos und niedergeschlagen berichtete Kullmann: »Esche Versetzungsgrund aus Köln war eine Anzeige einer Arbeitskollegin wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz!«
»Das beantwortet aber nicht meine Frage«, stellte Jürgen fest.
Kullmann berichtete von seinem letzten heftigen Streitgespräch mit Anke und von Ankes Schlagstock, auf dem Haare und Blutspuren gefunden worden waren.
Jürgen hörte genau zu, schien seinen Chef aber nicht zu verstehen. Es dauerte eine Weile, bis er sagte: »Ich verstehe da wohl so einiges nicht!«
Kullmann schaute den Kollegen an und fragte: »Ist dir in den letzten Wochen jemals zu Ohren gekommen, dass Esche mehr Interesse an Anke hatte, als Anke lieb und recht gewesen wäre?«
Nun brach Jürgen der Schweiß erst richtig aus. Eine Weile schaute er Kullmann nur an, bis der Alte drängte: »Du weißt etwas! Rück raus mit der Sprache!«
Jürgen wischte sich über die Stirn. »Ich habe nur durch Zufall ein Gespräch zwischen Esther und Anke gehört«, begann er sehr zurückhaltend. »Ohne lauschen zu wollen«, fügte er noch schnell an. Aber Kullmann winkte ab und meinte ungeduldig: »Hier geht es um viel Wichtigeres. Was hast du gehört?«
»Esther sagte zu Anke, als sie von dir beurlaubt worden war: Du hättest Esche nicht so behandeln dürfen. Er ist nicht schlecht und das, was du ihm angetan hast, hat er wirklich nicht verdient . Dann fügte sie noch etwas an, was ich nicht mit Sicherheit wiederholen kann, weil ich mich entfernte. Die Unterhaltung war privater Natur und ging mich nichts an«, wand Jürgen sich ganz verlegen unter Kullmanns Blicken.
»Rede weiter!« Kullmann konnte seine Unruhe kaum bändigen.
»Jetzt, wo du mir von dem Schlagstock erzählst, merke ich, dass ich einen Fehler gemacht habe. Aber ich dachte einfach, das sei ein Frauengespräch, und wollte mich nicht in private Dinge einmischen, deshalb habe ich diesem Satz einfach keine Bedeutung beigemessen!«
»Dann sag doch endlich den Satz!«, wurde Kullmann ungeduldig.
»Esther sagte zu Anke: Er hätte sterben können! «, gab Jürgen endlich zerknirscht zu.
»Und du hast geglaubt, die beiden reden über die neueste Mode?«, sprang Kullmann wütend von seinem Stuhl auf. »An was hätte er denn sterben können? An Liebeskummer, weil Anke ihn verschmäht hatte? Mein Gott, was hast du dir denn nur gedacht, bei dieser Unterhaltung einfach nicht zu reagieren?«
»Ich habe bestimmt nicht an seine Beule am Kopf gedacht, weil niemand an einer Beule am Kopf einfach stirbt!«, rechtfertigte Jürgen sich verzweifelt. »Außerdem hatten wir doch für die Beule eine Erklärung, die den gesamten Polizeiapparat in Bewegung gesetzt hatte.«
»Und was haben die beiden noch geredet?«, lenkte Kullmann
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