Kullmann
ich mir romantischer vorgestellt.« Ein Zahn fiel ihm aus dem Mund und kullerte vor Ankes Füße.
Betroffen nahm Anke Robert in die Arme und wartete zusammen mit ihm auf den Krankenwagen, den ein aufmerksamer Nachbar gerufen hatte. Er war durch den Lärm aufgeweckt worden und hatte zum Glück nachgesehen, was in Roberts Wohnung los war.
*
Kullmann fuhr zum Landeskriminalamt zurück, um sich dort seinem Bericht zu widmen. Verzweifelt suchte er nach seiner Lesebrille, bis er sie in der obersten Schublade seines Schreibtisches fand. Sonst hatte ihm Anke diese Arbeit abgenommen, deshalb gehörte der Griff zur Lesebrille noch nicht zu seiner Routine. Sie fehlte ihm sehr, wobei er nicht nur an ihren unermüdlichen Eifer dachte. Er vermisste auch ihr heiteres Wesen, das ihm oft neuen Auftrieb gab. Es wurde höchste Zeit, dass sie wieder im Team mitarbeitete.
Das Büro lag verlassen da, weil viele Kollegen Feierabend hatten und andere im Außendienst tätig waren. Nur eine Putzfrau arbeitete still vor sich hin. Sie befand sich gerade in Ankes Zimmer. Kullmann grüßte die Frau, als sein Blick auf Ankes Schreibtisch fiel. Dort lag Ankes Schlagstock! Völlig erstaunt ging er darauf zu und fragte die Putzfrau: »Wie kommt dieser Stock auf den Tisch?«
»Der lag auf dem Boden. Ich habe ihn aufgehoben und auf den Tisch gelegt«, erklärte die Frau.
»Wo lag der Stock?«, wollte Kullmann nun ganz genau wissen, weil ihm plötzlich ganz unwohl zumute war.
Die Putzfrau zeigte auf eine Stelle direkt unter dem Schreibtisch, wo der Stock nur gefunden werden konnte, wenn man sich bückte und auf dem Boden suchte. Dort hatte Anke den Stock niemals vergessen, weil sie viel zu gewissenhaft ihre Utensilien immer absperrte, bevor sie das Büro verließ. Was war dort geschehen?
Neugierig nahm Kullmann ein Vergrößerungsglas und begutachtete den Stock genauer. Tatsächlich fand er an einer Stelle einen kleinen Fleck, der durchaus eine Blutkruste sein konnte. Außerdem dunkle Haarreste. Schleunigst eilte er hinunter in das Labor.
»Wie gut, dass ich dich noch antreffe! Ich brauche dich jetzt!«
Er zeigte Theo den Schlagstock und erklärte: »Kannst du feststellen, was das für ein Fleck auf dem Stock ist?«
»Klar«, erklärte Theo sich sogleich bereit, Kullmanns Bitte nachzukommen. »Bei der Gelegenheit kann ich dir eine Neuheit der Kriminaltechnik vorstellen. Es handelt sich um die Substanz Leukokristalle, mit der man zweifelsfrei Blutspuren feststellen kann, selbst an Stellen, wo es mit dem bloßen Auge nicht mehr sichtbar ist.«
»Und ein Irrtum ist ausgeschlossen?«, zweifelte Kullmann.
»Völlig! Diese Kristalle reagieren auf eine Substanz, die nur in Blut vorkommt. Somit ist eine Verwechslung ausgeschlossen.«
Geschickt setzte Theo die hochwertige Substanz ein, womit er Kullmann eine Demonstration der neuen Untersuchungsmethode vorführte. Dabei kam eindeutig heraus, dass es sich um Blut handelte.
»Um Näheres festzustellen, müsste ich eine DNA-Anlyse durchführen, weil ich nicht sagen kann, ob es menschliches Blut ist«, erklärte Theo.
Aber Kullmann genügte das Ergebnis schon. Lachend winkte er ab und rief schon im Hinausgehen: »Das Ergebnis reicht mir völlig aus, Kollege! Vielen Dank!«
Deutlich sah Kullmann das Bild vor Augen, wie Esche mit seiner dicken Beule am Kopf am Schreibtisch gesessen hatte. Diese Beule hatte geblutet. Zwar hatte Esche wenige Haare, aber diese wenigen Haare waren dunkel, fast schwarz. Auf die Frage, wie er sich diese Beule zugezogen hatte, hatte er eine sehr ausführliche Geschichte über Robert Spengler erzählt, die ihn zweifelsfrei als Hauptverdächtigen und dazu noch als gefährlich darstellte. Angeblich hatte ihm Robert mit einem Knüppel über den Kopf geschlagen. Nun erst erkannte Kullmann, dass dieser angebliche Überfall nie wieder besprochen worden war. In diesem Fall stand es Aussage gegen Aussage, was auch bedeutete, dass Robert die Wahrheit gesagt haben konnte und dieser Überfall hatte niemals stattgefunden. Nach dem, was Kullmann von den Kollegen in Köln erfahren hatte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Esche hatte ihm eine raffinierte Falle gestellt, er als alter Hase war wie ein Anfänger darauf hereingefallen.
Verärgert rieb Kullmann sich die Augen. Nun erst erkannte er das ganze Ausmaß seiner Blindheit. Die Szene kam ihm vor Augen, wie Anke vor ihm gesessen und nur mit Mühe herausgebracht hatte, dass Esche mehr von ihr wollte, als sie zulassen konnte.
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