Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Titel: Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
Vom Netzwerk:
weitergehen. Ich darf ihn nicht
enttäuschen. Das würde bedeuten, daß ich den Anzug im
Stich lasse. Er hat seine Sache wirklich gut gemacht, indem er uns
zumindest am Stück hierhergebracht hat, und gestern hat er diese
ganze lange Strecke zurückgelegt und mich getragen, während
ich noch mit den Augen gerollt und vor mich hingesabbert und etwas
vom Traumwandeln und dem lebenden Tod gemurmelt habe – ich darf
ihn nicht im Stich lassen. Wenn ich versage, schade ich uns beiden
und verringere auch die Überlebenschancen des Anzugs.
    Der Hang setzt sich fort. Der Boden ist von langweiliger
Eintönigkeit, immer vom selben Rostbraun. Es erschreckt mich,
daß es so wenig Abwechslung gibt, so wenige Anzeichen von
Leben. Manchmal entdecken wir einen Fleck auf einem Felsen, der
möglicherweise pflanzliches Leben bedeuten könnte, aber ich
vermag es nicht zu sagen, und der Anzug weiß es nicht, weil die
meisten seiner Außenaugen und Fühler bei dem Absturz
ausgebrannt sind, und sein Analysator ist in keinem besseren Zustand
als das Antigravitations-System oder der Transceiver. Die
Vorbereitung des Anzugs auf den Planeten enthielt keine umfassende
Aufklärung über die Ökologie, deshalb haben wir nicht
mal eine theoretische Ahnung, ob es sich bei den Verfärbungen um
Pflanzen handeln könnte. Vielleicht sind wir das einzige Lebende
hier, vielleicht gibt es nichts Lebendes oder Denkendes in einem
Umkreis von Tausenden und Abertausenden von Kilometern. Dieser
Gedanke entsetzt mich.
    »Was denkst du?«
    »Nichts«, erkläre ich ihm.
    »Sprich. Du solltest mit mir sprechen.«
    Aber was gibt es zu sagen? Und warum sollte ich überhaupt
sprechen?
    Ich vermute, er will mich zum Sprechen bringen, damit ich den
langen Marsch vergesse, das Tapstaps meiner Füße ein paar
Zentimeter vom ockerfarbenen Boden dieses öden Ortes
entfernt.
    Ich erinnere mich daran, daß ich am ersten Tag, als ich noch
unter Schock stand und mich im Delirium befand, dachte, ich
stünde außerhalb von uns beiden und sähe, wie der
Anzug sich öffnete und meine wertvolle abgestandene Luft in die
Atmosphäre ausströmen ließ, und ich beobachtete, wie
ich in der luftlosen Kälte starb; dann sah ich, wie der Anzug
mit langsamen, müden Bewegungen mich aus sich
herausdrückte, steif und nackt; eine umgestülpte
Reptilienhaut, die Negativhülle einer Schmetterlingspuppe. Er
ließ mich ausgemergelt und armselig und leidend auf dem
staubigen Boden liegen und ging davon, erleichtert und entleert.
    Und vielleicht habe ich immer noch Angst, daß er das tun
wird, denn gemeinsam werden wir vielleicht sterben, aber ich bin
ziemlich sicher, daß der Anzug für sich allein ohne
weiteres durchkommen würde. Er könnte mich opfern, um sich
selbst zu retten. So würden sich jedenfalls viele Menschen
verhalten.
    »Hast du was dagegen, wenn ich mich ein bißchen
hinsetze?« frage ich und lasse mich gleichzeitig auf einen
großen Felsbrocken fallen, bevor der Anzug antworten kann.
    »Wo tut’s weh?« will er wissen.
    »Überall. Vor allem machen mir die Beine und
Füße zu schaffen.«
    »Es dauert einige Tage, bis sich deine Füße
abhärten und deine Muskeln stählen. Ruh dich nur aus, wenn
dir danach ist. Es hat keinen Sinn, wenn du zuviel von dir selbst
verlangst.«
    »Hmm«, sage ich. Ich hätte gern widersprochen. Ich
hätte ihn gern aufgefordert, mich zu zwingen, mit dem Jammern
aufzuhören und weiterzumarschieren – aber er hat keine Lust
zu solchen Spielchen. Ich sehe hinunter auf meine baumelnden Beine.
Die Oberfläche des Anzugs ist geschwärzt und mit kleinen
Dellen und Narben bedeckt. Einige haarfeine Fasern wackeln,
brüchig und verkohlt. Mein Anzug. Ich besitze das Ding seit
über einem Jahrhundert und habe es kaum benutzt. Das Gehirn
verbrachte die meiste Zeit zu Hause, in die Haupteinheit
eingestöpselt, und führte sozusagen ein Leben auf der
Ersatzbank. Selbst in den Ferien hielt ich mich die meiste Zeit an
Bord auf, anstatt mich in feindliche Umgebungen hinauszuwagen.
    Nun, jetzt befinden wir uns in einer feindlichen Umgebung, das
steht fest. Wir brauchen nichts anderes zu tun, als die halbe Strecke
um einen luftlosen Planeten zu marschieren, alle Hindernisse, die
sich uns entgegenstellen, zu überwinden, und wenn der Ort, zu
dem wir unterwegs sind, noch existiert, und wenn die Systeme des
Anzugs nicht vollkommen den Geist aufgeben, und wenn wir nicht von
dem erwischt werden, was immer das Modul zerstört hat, und wenn
wir nicht von unseren eigenen Leuten

Weitere Kostenlose Bücher