Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur
Kanalisationssystems steigt mir in die Nase.
Ich kratze mich am Rücken und drehe mich um.
Sterne. Ich starre sie an, versuche, es mit ihrem nicht
blinzelnden Blick durch die beschlagene, verkratzte Scheibe des
Helmvisiers aufzunehmen.
Ich ziehe den Arm in den Anzug und löse meine Halteklammern.
Dann strecke ich den Arm zum oberen Teil des aufgeblasenen Brustkorbs
hinauf und taste in der vorderen Packtasche herum, bis ich meinen
alten Fotoapparat gefunden habe.
»Was hast du vor?«
»Ich werde ein Foto machen. Spiel mir etwas Musik vor. Irgend
etwas.«
»Okay.« Der Anzug spielt für mich Musik aus meiner
Jugend, während ich die Kamera auf die Sterne richte. Ich
klammere den Arm wieder an und schiebe den Apparat durch den
Brustverschluß. Die Kamera ist sehr kalt; mein Atem
schlägt sich darauf nieder. Der Sucher fährt halb heraus,
dann klemmt er. Ich ziehe ihn mit den Fingernägeln heraus, und
er bleibt so. Der übrige Mechanismus funktioniert; meine
Sternenbilder werden hübsch, und als ich zu einigen älteren
Bildmagazinen aus dem Vorrat umschalte, erscheinen auch diese hell
und klar. Ich betrachte die Bilder meines Zuhauses und meiner Freunde
in der Orbitalstation und empfinde – während ich der alten,
nostalgischen Musik lausche – eine Mischung aus Trost und
Traurigkeit. Mein Sicht wird verschwommen.
Ich lasse die Kamera fallen, und der Bildschirm schnappt zu; der
Apparat rollt unter mir weg. Ich bücke mich unter Qualen, hebe
ihn auf, lasse wieder Bilder auf dem Schirm abspulen und sehe mir
alte Fotos an, bis ich schließlich einschlafe.
Ich wache auf.
Die Kamera liegt neben mir; sie ist ausgeschaltet. Der Anzug
schweigt. Ich höre, wie mein Herz klopft.
Langsam gleite ich in den Schlaf zurück.
Es ist eine stille Nacht. Ich bleibe wach und betrachte die Sterne
durch das verkratzte Visier. Ich fühle mich so ausgeruht wie nur
möglich, aber die Nacht hier hat nun mal doppeltes
Standardmaß, und ich muß mich einfach daran
gewöhnen. Keiner von uns beiden hat ein ausreichendes
Sehvermögen, daß wir bei Nacht unseren Weg gefahrlos
fortsetzen könnten, abgesehen davon, daß ich trotz allem
Schlaf brauche und der Anzug während der Sonnenstunden nicht
genügend Energie speichern kann, um in der Dunkelheit zu
marschieren; seine interne Energiequelle liefert kaum ausreichend
dauerhafte Kraft zum Kriechen, und das Licht, das auf seine
Fotopaneele fällt, ist eine lebenswichtige Ergänzung. Zum
Glück ist die Bewölkung hier nur mäßig; ein
wolkenverhangener Tag würde bedeuten, daß ich alle Arbeit
allein verrichten müßte, ob ich damit dran wäre oder
nicht.
Ich rolle die Klappe vor dem Bildschirm der Kamera auf, dann
fällt mir etwas ein.
»Anzug?«
»Was ist?« sagt er leise.
»Die Kamera hat doch eine eigene Energieeinheit.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Sie ist sehr schwach, und
die Systeme sind ohnehin so sehr beschädigt, daß kein
Anschluß an eine andere innere Energiequelle mehr möglich
ist. Mir fällt auch kein Weg ein, wie wir sie in das externe,
auf Strahlung beruhende Energiegewinnungssystem einbeziehen
könnten.«
»Wir können sie also nicht nutzen?«
»Wir können sie nicht nutzen. Schau dir nur in aller
Ruhe deine Bilder an.«
Ich schaue meine Bilder an.
Es besteht kein Zweifel daran: Ausbildung oder nicht, wenn man im
O-Umfeld geboren und aufgewachsen ist, dann paßt man sich
niemals vollkommen an einen Planeten an. Man bekommt eine Art
Agoraphobie; man hat das Gefühl, kurz davor zu sein,
weggeschleudert zu werden, in den Raum hinauszufliegen, aufgelesen
und kreischend und brüllend zu den nackten Sternen
hinausgeschickt zu werden. Irgendwie spürt man diese riesige,
verschwenderisch üppige Masse unter sich, die den Raum an sich
verschiebt und sich selbst verdichtet, massives oder noch halb
geschmolzenes Erdreich, bebend in einer quietschenden, gewaltigen
Presse; und du, fest angeklammert, hockst an der Außenseite,
halb ängstlich, daß du trotz all deines Wissens den Halt
verlieren wirst und trudelnd und wirbelnd und winselnd abtreibst.
Dies ist jedoch dein Geburtsort, dies ist der Ort, den wir vor
langer Zeit verlassen haben. Hier haben wir einmal gelebt, auf Kugeln
aus Staub und Fels wie dieser. Dies ist unsere Heimat, wo uns einst
die Wanderlust gepackt hat, die Gegend, in der wir einmal gewohnt
haben, bevor wir von zu Hause weggelaufen sind, die Wiege, wo wir vom
wahnsinnigen Atem der gewaltigen Größe des Ortes
angehaucht wurden wie von einem
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