Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur
metallenen Wind im Innern unserer
liebesberauschten Köpfe; taumelnd auf der Leiter unserer Umwelt
und trunken gestrauchelt über die Möglichkeiten der
Sterne…
Ich merke, daß ich die Sterne anstarre, mit weit
aufgerissenen und brennenden Augen. Ich reiße mich zusammen,
wende den Blick mit Gewalt ab von der Ansicht draußen, widme
mich wieder den Bildern in der Kamera.
Ich betrachte ein Gruppenfoto von der Orbitalstation. Bekannte,
Freunde, Geliebte, Verwandte, Kinder; alle stehen da im Sonnenschein
eines Spätsommertages, vor dem Hauptgebäude. Erinnerte
Namen und Gesichter und Stimmen, Gerüche und Berührungen.
Hinter ihnen erhebt sich – kurz vor der Fertigstellung, so wie
er damals war – der neue Gebäudeflügel. Einiges von
dem Holz, mit dem wir ihn errichtet haben, liegt noch im Garten,
weiß und dunkelbraun auf dem Grün. Lächeln. Der
Geruch von Sägemehl und das Gefühl, einen Hobel zu
schieben; Hornhaut an den Händen und der Anblick und das
Geräusch, wenn sich abgehobelte Holzspäne von der Klinge
kringeln.
Wieder Tränen. Wie kann ich verhindern, daß ich
sentimental werde? Ich habe damals all das nicht erwartet. Ich werde
nicht fertig mit der Entfernung, die uns alle trennt, mit dieser
schrecklich klaffenden Kluft langsam verrinnender Jahre.
Ich lasse weitere Bilder durchlaufen: Gesamtansichten der
Orbitalstation, ihre Felder und Städte und Meere und Berge.
Vielleicht kann man letzten Endes alles als Symbol betrachten;
vielleicht können wir mit unserer beschränkten Auffassung
gar nicht anders, als Ähnlichkeiten zu entdecken, Analogien,
Talismane… Doch diese nach innen gerichtete Scheibe im Orbit
sieht für mich jetzt falsch aus, hier unten, so weit weg und in
der Einsamkeit. Diese Kugel eines gewöhnlichen, weichen,
zufälligen Planeten erscheint mir wie Schneide und Rücken
einer zwillingshaften diamantenen Gründlichkeit, während
unseren klugen, fleißigen kleinen Orbitalstationen diese
grundlegende Realität fehlt.
Ich wünschte, ich könnte schlafen. Ich würde gern
schlafen und alles vergessen, aber ich kann nicht, obwohl ich immer
noch müde bin. Der Anzug kann mir in dieser Hinsicht auch nicht
helfen. Ich kann mich nicht einmal mehr ans Träumen erinnern,
als ob auch diese Einrichtung zerstört wäre.
Vielleicht bin ich das künstliche Wesen, und nicht der Anzug,
der gar nicht versucht, etwas vorzutäuschen. Man hat mir
nachgesagt, ich sei kalt, was mich verletzt hat; was mich immer noch
verletzt. Ich kann nicht mehr tun, als soviel zu fühlen, wie es
mir möglich ist, und mich damit zu trösten, daß man
nicht mehr verlangen kann.
Ich wende mich gequält ab, will die verräterischen
Sterne nicht mehr sehen. Ich schließe die Augen, sperre mein
Denken gegen ihre erinnerungsträchtige Erforschung und versuche
zu schlafen.
»Aufwachen!«
Ich bin sehr verschlafen, mein ganzer Rhythmus ist durcheinander;
ich bin noch immer müde.
»Zeit zum Aufbruch, los!«
Ich komme zu mir, reibe mir die Augen und atme durch den Mund, um
den schalen Geschmack darin loszuwerden. Das Morgengrauen wirkt kalt
und vollkommen, sehr dünn und weit durch diese unwirtliche
Gasschicht. Und der Hang ist natürlich immer noch da.
Der Anzug ist mit Marschieren an der Reihe, also kann ich mich
weiterhin ausruhen. Wir ordnen die Beine und Arme neu und lassen die
Luft aus dem Brustkorb. Der Anzug steht auf und setzt sich in
Bewegung, wobei er mich um die Waden und die Taille faßt, um
meine pochenden Füße von der Masse meines Gewichts zu
entlasten.
Der Anzug marschiert schneller als ich. Er schätzt, daß
er nur noch etwa zwanzig Prozent mehr Kraft hat als ein
durchschnittlicher Mensch. Das ist so etwas wie ein Abstieg für
ihn. Schon das Laufen an sich muß für ihn etwas sehr
Verdrießliches sein (sofern er Verdruß empfinden
kann).
Wenn doch nur das AG-System funktionieren würde! Dann
könnten wir die ganze Strecke in einem einzigen Tag
zurücklegen. In einem Tag!
Wir schreiten über die ansteigende Fläche, auf den Rand
zu. Langsam verschwinden die Sterne, einer nach dem anderen, durch
das Licht der Sonne vom weiten Himmel weggewaschen. Der Anzug legt
etwas an Geschwindigkeit zu, als das Licht direkter auf seine
geriffelten Fotopaneele fällt. Wir halten an und kauern uns
für einen Moment nieder, um einen verfärbten Stein zu
untersuchen; es wäre ja möglich, wenn wir so etwas wie Oxid
fänden…, aber dieser Stein enthält nicht mehr
eingefangenen Sauerstoff als die übrigen, und wir
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