Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Titel: Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
Vom Netzwerk:
beobachten, um Museen, Ateliers, Studios und
Läden unter die Lupe zu nehmen, in Fenster, Gärten und
Wälder zu spähen und um Busse, Züge, Autos, Schiffe
und Flugzeuge zu verfolgen. Unterdessen drangen seine und jene in den
Hauptsatelliten untergebrachten Effektoren in jeden Computer ein,
zeichneten jede geografische Linie ab, zapften jede
Mikrowellenverbindung an und hörten jeden Radiosender der Erde
mit.
    Alle Kontakt-Fahrzeuge sind naturgemäß Plünderer.
Sie sind so konstruiert, daß sie es lieben, emsig
beschäftigt zu sein, und daß es ihnen Spaß macht,
ihre großen Nasen in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken,
und die Willkür war bei all ihrer exzentrischen
Eigenschaften keine Ausnahme. Ich bezweifle, daß sie je
glücklicher war oder ist, als wenn sie ihre Staubsauger-Rolle
über einem mit Intelligenz gesegneten Planeten spielt. Bis wir
zur Abreise bereit wären, würde das Schiff in seinem
Gedächtnis sämtliche Daten gespeichert haben, die jemals in
der Geschichte des Planeten gespeichert und nicht anschließend
gelöscht wurden – um sie dann an andere Fahrzeuge
weiterzugeben. Jede 1 und jede 0, jeder Buchstabe, jedes Pixel, jeder
Ton, jede feinste Linie und Konsistenz, die je gestaltet wurden. Es
würde von allen Mineralienablagerungen wissen, wo sie begraben
sind, wo alle bis jetzt ungehobenen Schätze schlummern, wo
gesunkene Schiffe liegen, wo geheime Gräber ausgehoben worden
sind; und es würde die Geheimnisse des Pentagons kennen, des
Kremls, des Vatikans…
    Auf der Erde ahnte natürlich niemand etwas davon, daß
eine Million Tonnen eines überaus neugierigen und erschreckend
kraftvollen fremdweltlichen Raumschiffes um sie herum kreiste, und
– davon konnte man ausgehen – die Einheimischen benahmen
sich genau wie immer; sie mordeten und hungerten und starben und
verstümmelten sich und andere und folterten und logen und so
weiter. In der Tat verlief sozusagen alles nach Tagesordnung, und das
setzte mir fürchterlich zu, aber dennoch hoffte ich, daß
wir uns dazu entschließen würden, einzugreifen und den
größten Teil dieser Scheiße zu unterbinden. Es
geschah etwa in dieser Zeit, daß zwei Boeing 747 auf einer
spanischen Kolonialinsel am Boden zusammenstießen.
    Ich las König Lear zum zweitenmal, und zwar unter
einer ausgewachsenen Palme sitzend. Das Schiff hatte den Baum in der
Dominikanischen Republik gefunden, zum Niederwalzen per Bulldozer
gekennzeichnet, um den Platz für ein neu zu bauendes Hotel zu
planieren. Die Willkür war der Auffassung, daß ein
paar Pflanzen als Dekoration ganz nett wären, und grub die Palme
eines Nachts aus, um sie an Bord zu bringen, komplett mit allen
Wurzeln und einigen -zig Kubikmetern sandigen Bodens; sie pflanzte
sie in die Mitte unseres Freizeitbereichs. Das brachte einiges an
Umräumungsarbeiten mit sich, und einige Leute, die zufällig
gerade schliefen, während das Ganze vor sich ging, wachten auf
und sahen sich beim Öffnen ihrer Kabinentüren einem zwanzig
Meter hohen Baum gegenüber, der aus einem neuentstandenen
Brunnen mitten im Freizeitbereich emporragte. Die Kontakt-Leute sind
jedoch daran gewöhnt, sich von solchen Einfällen ihrer
Schiffe nicht aus der Fassung bringen zu lassen, und jedermann ging
gelassen seiner jeweiligen Beschäftigung nach. Überhaupt
würde solch ein harmloser, ja sogar wohltuender Streich auf
jeder sinnvoll eingestellten Meßskala für AKE-Exzentrik
sich kaum bemerkbar machen.
    Ich saß in Sichtweite der Tür zu Li’ndanes Kabine.
Er trat heraus, mit Tel Ghemada plaudernd. Li schnippte
Paranüsse in die Luft und rannte nach vorn oder neigte sich nach
hinten, um sie mit dem Mund aufzufangen, während er versuchte,
seine Beiträge zur Unterhaltung ohne Unterbrechung zu leisten.
Tel hatte Spaß an der Darbietung. Li schnippte eine Nuß
besonders weit und mußte unter ihrer Flugbahn durchtauchen und
sich gleichzeitig drehen, woraufhin er zu Boden krachte und gegen den
Sessel rutschte, auf dem ich die Füße liegen hatte (ja, es
stimmt, ich faulenze an Bord von Schiffen immer ziemlich viel herum;
ich weiß nicht warum). Li vollführte einen Purzelbaum und
zog eine alberne Schau ab, indem er sich in alle Richtungen nach der
Paranuß umsah. Er setzte ein fassungsloses Gesicht auf. Tel
schüttelte den Kopf, lächelte und winkte zum Abschied. Sie
gehörte zu der unglücklichen Sorte, die versuchte, die
irdische Ökonomie in eine Art von menschlichen Griff zu
bekommen, und deshalb verdiente sie jede kleine Freude,

Weitere Kostenlose Bücher