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Kultur 08: Der Algebraist

Kultur 08: Der Algebraist

Titel: Kultur 08: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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hast du Ilen und was mit ihr passiert ist, aber
doch nicht vergessen, denn schließlich war es für uns alle
ein traumatisches Erlebnis. Wenn etwas so schrecklich und so
dramatisch war, vergisst man es nicht wirklich. Wie könnte man
auch? Man hat Albträume, manchmal überfällt einen die
Erinnerung sogar bei Tag. Hast du das auch festgestellt? Mir geht es
so. Manchmal gibt es eine gute Erklärung dafür, wenn man
etwa auf dem Bildschirm jemanden sieht, der an den Fingerspitzen
über einem Abgrund hängt, besonders, wenn es eine Frau ist.
Auf dem Bildschirm werden die Leute natürlich meistens gerettet.
Nicht immer, aber meistens. Aber manchmal kommt es auch… wie aus
dem Hinterhalt. Ich mache etwas ganz Alltägliches, ohne
jeden… Bezug, ohne einen… Stimulus, eine logische
Verbindung, die die Erinnerungen heraufbeschwören könnte,
und plötzlich bin ich wieder mit dir und Fass und Ilen in dieser
riesigen alten Drecksau von einem Schiff.
    Kennst du das? Mir passiert es immer noch, auch nach all den
Jahren. Dabei sollte es inzwischen wirklich aufgehört haben.
Verdammt, auch ohne die in der Nähe von c gestohlenen Jahre
müsste es doch, du weißt schon, verdorrt, abgefallen sein.
Sieh mich an; ich bin einundsechzig Jahre alt, Eigenzeit, wie man mir
sagt. Fit wie eh und je, ich schlafe immer noch mit Jungs, die ein
Drittel so alt sind, und – sehe ich etwa aus wie sechzig? Ich
hoffe nicht. Aber meinst du nicht auch, ich müsste die ganze
Geschichte inzwischen überwunden haben?
    Die Zeit heilt alle Wunden und so weiter? Hat einfach nicht
geklappt.
    Also, geht es dir nun auch so? Klingelt es irgendwo, wenn du das
hörst? Das wüsste ich wirklich gern. Vielleicht finden wir
es eines Tages heraus. Vielleicht kann ich dir die Frage stellen,
vielleicht bekommst du das nie zu sehen, aber wir finden es
irgendwann gemeinsam heraus. Vielleicht sieht sich die Aufzeichnung
auch jemand anderer an. Eigentlich ist sie nicht für fremde
Augen bestimmt, aber ich habe einen riskanten Beruf, und niemand
weiß, was geschieht, wenn das Band fertig ist.
    Jedenfalls solltest du Folgendes wissen: Ich weiß, was
geschehen ist, und ich habe die Absicht, dich zu töten, Sal.
Oder ich hatte sie. Wie gesagt, wenn du dir das ansiehst, bin ich
tot, und du lebst noch. Ich bin allerdings fest entschlossen, dich
noch aus dem Grab heraus zu verfolgen, Sal, alter Junge. Mir ist
klar, dass das nicht einfach ist, aber ich habe mich während
meiner ganzen Karriere bemüht, eine Machtposition zu erreichen.
Innerhalb der Navarchie so mächtig zu werden, dass ich
bloß mit den Fingern zu schnippen brauche, und die
Schlachtschiffe fahren ihre Triebwerke hoch, setzen den Kurs und
starten. Ich habe Netzwerke geknüpft, mir Freunde geschaffen,
Verbündete gesucht, Liebhaber genommen, Prüfungen abgelegt
und bin Risiken eingegangen, nur um eines Tages mächtig genug zu
sein, um es mit einem Mann aufzunehmendem inzwischen wahrscheinlich
fast das ganze System gehört. Der Portal-Zusammenbruch
hätte mich fast aus der Bahn geworfen – und hat meine
Pläne sehr verzögert –, aber ich schätze, wenn
ich endlich nach Hause komme oder wenn das eintritt, was ich für
den Fall meines Todes geplant habe, bist du immer noch am Leben und
hast Spaß daran.
    Natürlich kann ich dir nicht allzu viel sagen. Wie käme
ich dazu, dich zu warnen? Du hast ohnehin alle Vorteile auf deiner
Seite, nicht wahr? Bis auf das Überraschungsmoment vielleicht.
Bist du jetzt überrascht? Wenn du dir das anhörst, wenn du
mich siehst? Fragst du dich, was passieren wird? Frage dich ruhig.
Frage dich, Sal, und hör nicht auf damit, hör nicht auf,
dich zu fürchten, denn wenn du Angst hast, lebst du vielleicht
ein wenig länger. Nicht viel. Ganz sicher nicht allzu lang, aber
lange genug.
    Ich denke, das reicht jetzt, meinst du nicht auch? Es ist sicher
die längste Rede, die einer von uns jemals gehalten hat, auch
damals, als wir noch zusammen waren, vor Urzeiten. Vielleicht
länger als alles, was wir jemals miteinander gesprochen haben.
Vielleicht nicht ganz.
    Lass mich erklären, falls du es noch immer nicht kapiert
hast: Ich habe die Spuren gesehen, Sal. Ich habe die drei roten
Linien an deinem Hals gesehen, bevor du den Jackenkragen
hochgeschlagen hast. Weißt du noch? Weißt du, wie du dich
geschüttelt und ›K-Kragen‹ gesagt hast, oder so
ähnlich?
    Weißt du es noch? Es war nur einer von den vielen kleinen
Fehlern, die man in der Situation vor lauter Angst und Aufregung
nicht

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