Kultur 08: Der Algebraist
Kriegsschiffe in
diesem System. ›Auf Gaslinienform trimmen‹ ist ein
Fachausdruck, und das plötzliche Umschwenken, als er merkte,
dass er mit jemandem redete, der sentimentale oder emotionale
Bindungen an Nasqueron und Sympathien für die Dweller haben
könnte, ist signifikant. Ich kenne diesen Mann, ich kenne ihn
seit meiner Kindheit. Ich weiß, wie er tickt.«
»Ein Überfall auf einen Gasriesen wäre dennoch eine
folgenschwere Aktion. Die Merkatoria hat so etwas in siebentausend
Jahren nicht versucht.«
»Das System ist in einer verzweifelten Lage. Noch in diesem
Jahr droht eine Invasion. Ich meine ein Standardjahr, nicht eines von
den euren. Hilfe ist mindestens ein weiteres Standardjahr entfernt.
Die Invasion könnte sogar schon begonnen haben. Die Angriffe auf
Third Fury und die anderen Standorte der Merkatoria um Nasq
könnten damit zusammenhängen.«
»Und was versprechen sie sich davon, wenn sie in unseren
Planeten eindringen?«
»Sie glauben, hier etwas finden zu können, was ihnen
hilft, das Blatt zu wenden. Eine Information. Deshalb bin ich hier.
Um danach zu suchen. Aber wenn mich die Merkatoria für tot
hielte oder mir den Erfolg nicht zutraute, könnte sie direkt
eingreifen. Und die Invasoren, die ihr solches Kopfzerbrechen machen,
könnten genauso denken und hätten noch weniger Grund zu
zögern. Ich habe den Eindruck, die Fortsetzung der
Dweller-Forschung steht auf ihrer Prioritätenliste ziemlich weit
unten.«
»Fassin, was für eine Information könnte ein
solches Vorgehen rechtfertigen?«
»Eine wichtige Information.«
»Genauer?«
»Eine sehr wichtige Information.«
»Mehr willst du mir nicht sagen.«
»Ich will nicht, und ich kann nicht. Je weniger du
weißt, desto besser.«
»Nun rede schon.«
»Wenn ich der Meinung wäre, dich mit Einzelheiten
überzeugen zu können, würde ich dich ja
einweihen«, log Fassin.
Er sprach mit einem Dweller namens Setstyin. Setstyin bezeichnete
sich gerne als ›Einflusshändler‹, ein sehr schlichter
Ausdruck für jemanden, der über Verbindungen in die
höchsten Kreise verfügte. Die Dweller-Gesellschaft war von
der Sozialhierarchie her auffallend flach – flach wie die
Oberfläche eines Neutronensterns verglichen mit den schroffen
Höhen der ungeheuerlich barocken Merkatoria-Rangordnung –,
aber insoweit es in dieser Gesellschaft ein Oben und ein Unten gab,
war der Suhrl Setstyin mit beiden in Kontakt.
Er organisierte Feste und arbeitete in Teilzeit als
Sozialarbeiter, machte Krankenbesuche und war ein Freund aller
Mächtigen und aller Guten, soweit diese beiden Kategorien bei
den Dwellern von Bedeutung waren; er war kontaktfreudig,
vereinstauglich und interessierte sich aufrichtig für seine
Mitwesen, sogar noch mehr als für sein Kudos (ein sehr
ungewöhnlich, sogar befremdlicher und beinahe bedrohlicher Zug).
Ein Mensch hätte ihn irgendwo zwischen einem komischen Kauz und
einem coolen Typen angesiedelt. Komischer Kauz deshalb, weil er sich
bizarrerweise nicht für das Einzige interessierte, was nach
Meinung aller anderen wirklich wichtig war: sein Kudos. Und cooler
Typ aus dem gleichen Grund, denn sich nicht um Kudos zu kümmern
– nicht zwanghaft daran zu denken, ihm nicht nachzujagen, wo
immer es zu finden sein mochte, sich nicht ständig mit allen
anderen coolen Typen messen zu müssen – das allein war
schon cool. Solange es nicht den Schatten eines Verdachtes gab, dass
er irgendein abgefahrenes Täuschungsmanöver abzog und nur
den Gleichgültigen spielte, um damit umso mehr Kudos
einzuheimsen, solange man in seinem mangelnden Interesse die
ungekünstelte Sorglosigkeit des weisen Narren sah, war er
kudosreich, aber in einer Weise, um die ihn seltsamerweise niemand
beneidete.
(Slovius hatte Fassin einst als Erster erklärt, was es mit
dem Kudos auf sich hatte. Fassin hatte zunächst gedacht, es
hätte Ähnlichkeit mit Geld. Slovius hatte widersprochen.
Auch das Geld habe nicht mehr den gleichen Stellenwert wie
früher, dennoch sei Kudos in manchen Fällen fast das
Gegenteil davon. Je schwerer man sich sein Kudos verdient habe, desto
weniger sei es wert.)
Setstyin war auch einer der vernünftigsten, ausgeglichensten
Dweller, die Fassin jemals kennen gelernt hatte. Selbst als ein
schlichter Mensch ihn aus dem Bett holen ließ und verlangte,
dass er sich beeilte und ans Telefon käme, hatte er auf dieses
Ansinnen mit einer Würde und einem Ernst reagiert, wie sie kaum
ein anderer Dweller aufgebracht hätte.
Fassin hatte sich bei
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