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erscheinende Größenverhältnisse. Wichtige Personen wurden groß gemalt, unwichtige klein, unabhängig davon, wo sie sich in der Bildebene aufhalten. Giotto hingegen schafft eine Illusion des Raumes. Achten Sie auf den Baum auf dem Felsen rechts. Er scheint in der Tat weiter entfernt zu sein als die Jünger, die vor ihm stehen. Links drängeln sich weitere Menschen ins Bild, die eindeutig von hinten kommen. Seit der Antike hatte kein Maler mehr versucht, in seinen Bildern auf so überzeugende Weise Raum erlebbar zu machen wie Giotto.
Noch etwas unterscheidet Giotto von seinen Vorgängern: Er war berühmt. Und das war gar nicht so selbstverständlich, wie es uns heute erscheint. Viele mittelalterliche Künstler kennen wir nicht mit Namen. Die Kunsthistoriker bezeichnen sie nach ihren Werken, zum Beispiel als den »Meister des Paradiesgärtleins« oder den »Meister des Bartholomäus-Altars«. Maler galten noch in der Gotik als Handwerker wie Architekten und Bildhauer. Mit Giotto begann im christlichen Europa die Geschichte einer Kunst, deren Schöpfer wir benennen können.
Masaccio entdeckt die Perspektive
Giotto versuchte in seinen Bildern, den Eindruck von Räumlichkeit entstehen zu lassen. Das ist ihm, wie wir bereits gesehen haben, schon deutlich besser gelungen als den mittelalterlichen Malern vor ihm. Aber etwas fehlte Giotto, das erst rund 100 Jahre später Einzug in die Malerei hielt und damit den eigentlichen Beginn der Renaissance markiert: die Zentralperspektive.
Sicherlich war den Künstlern schon zuvor aufgefallen, dass man Dinge, die weiter entfernt sind, als kleiner wahrnimmt als etwas, das sich direkt vor den eigenen Augen befindet. Aber wie sollte man diese Erkenntnis malerisch umsetzen? Die Frage war nämlich, in welchem Verhältnis zwischen Entfernung und Größe die Dinge in der menschlichen Wahrnehmung schrumpfen. Auf die Lösung des Problems kam ein florentinischer Architekt (siehe das Kapitel Architektur). Filippo Brunelleschi baute im Auftrag der reichen und mächtigen Familie Medici das Deckengewölbe des Doms von Florenz, was an sich schon ein gewaltiges Unterfangen war. Nebenbei beschäftigte er sich mit den Problemen der zeichnerischen Darstellung der Wirklichkeit. Er erkannte, dass für eine Illusion von Räumlichkeit alle als waagerecht wahrgenommenen Linien auf einen Fluchtpunkt am Horizont, ungefähr in der Mitte des Bildes, zulaufen müssen.
Brunelleschi hat seine Entdeckung wohl nur für Architekturskizzen genutzt. Der erste Maler, der durch die Verwendung der Zentralperspektive eine Revolution in der Kunst auslöste, war ein junger Mann, der keine 30 Jahre alt wurde: Masaccio (1401–ca. 1429), dessen eigentlichen Namen Tommaso di Ser Giovanni di Simone Guidi Cassai man sich nur schwer merken kann. Der Spitzname bedeutet so viel wie »der ungeschlachte Thomas«, da er angeblich ein bisschen schlampig und grobschlächtig gewesen sein soll. Masaccio schuf »Die Heilige Dreifaltigkeit« in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz. Seine Technik lässt sich gut an den Kapitellen der Pfeiler und der Gewölbedecke nachvollziehen.
Sobald man auf ein Gemälde stößt, bei dem die Gesetze der Zentralperspektive beachtet wurden, kann man sicher sein: Man hat es mit einem Werk zu tun, das nach Masaccio geschaffen wurde, also frühestens in der Renaissance. Mit ihren Detailproblemen mussten sich die Maler aber noch langeherumschlagen. Zur größten Meisterschaft gelangten sie dabei im Barock. Wenn man etwa bei einem Deckengemälde nur noch mit Mühe erkennen kann, ob es sich um Stuck handelt, der in den Raum hineinragt, oder um einen Teil der Malerei, dann hat man es höchstwahrscheinlich mit einem Meister der illusionistischen Barockmalerei zu tun. Im frühen 20. Jahrhundert haben die Künstler diese Fertigkeit dann absichtlich wieder über Bord geworfen. Aber dazu später.
Zunächst einmal waren die Maler von den neuen Möglichkeiten begeistert. Nicht zuletzt deshalb, weil sich hinter der Zentralperspektive ein mathematisches Gesetz verbirgt. Und für die vernunftbegeisterte Renaissance drückte sich in der Mathematik die göttliche Harmonie aus.
Jan van Eyck entdeckt die Ölmalerei
Mit einem Sprung über die Alpen geht es nach Flandern. Dort entdeckte ein Maler aus dem Städtchen Maaseyck in der Nähe von Maastricht nicht einmal zehn Jahre nach Masaccios »Heiliger Dreifaltigkeit« gleich zwei entscheidende Dinge: die Ölmalerei und den Bürger als Motiv.
Jan van Eyck (ca.
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