Kunden lesen
Vogelbach ist inzwischen beim Gartenfest zur Erstkommunion des Patenkindes Patricia angekommen. Selbst alle Kuchen und Torten hat sie noch parat. Die Kollegin am benachbarten Beratungsplatz wirft schon mitleidige Blicke auf die junge Verkäuferin, als die Kundin nun noch das Thema Kuchenbacken anschneidet und auch nicht davor zurückscheut, die Herstellung einer erstklassigen Sachertorte zu schildern.
Sara Kaufmann würde gern das Thema wechseln und über die gewünschte Reiseplanung sprechen, doch muss ihre Gesprächspartnerin unbedingt noch loswerden, was die Vor- und Nachteile eines Frankfurter Kranzes sind und wieso eine echte Schwarzwälder Kirschtorte diesem in jedem Fall vorzuziehen ist. Sara Kaufmann wird langsam hungrig, ist Hanna Vogelbach doch inzwischen bei frischen Windbeuteln angekommen. Gerade als die Reisebüro-Kauffrau die Beratung entmutigt abbrechen will, teilt ihr die Kundin ganz unerwartet mit, dass sie sich nun dank der tollen Beratung für die extra lange Karibik-Kreuzfahrt mit anschließendem Aufenthalt auf der Wellness-Farm entschieden hat. Und ihre Freundin Caroline wird sie auch gleich überzeugen. »Es ist doch einfach am besten, wenn man jemanden zum Reden dabei hat und der mit einem das Doppelzimmer teilt.«
Sara Kaufmann ist baff! Sie hat mit allem gerechnet, nur nicht mit diesem plötzlichen Entschluss. War das ein Zufallstreffer? Oder hätte sich das Verhalten der Kundin voraussagen lassen?
Dick oder dünn?
Plaudertasche oder hocheffizienter Ergebnispräsentator – so weit kann das Verhalten von Kunden auseinanderliegen. Für den Verkäufer ist das eine echte Aufgabe, sich darauf einzustellen. Bei wem sollte er nur vorsichtig fragen, damit sich kein endloser Wortschwall über ihn ergießt? Und wen muss er eher zum Reden ermuntern, um an die für den Abschluss so dringend benötigten Informationen zu gelangen? Für die meisten Verkäufer waren die Kunden bisher auch in dieser Hinsicht ein Buch mit sieben Siegeln, das sich erst allmählich im Verkaufsgespräch geöffnet hat. Dabei gibt es einen ganz leichten Weg zu erkennen, wie wortgewaltig oder sprecheffizient der vor einem stehende Zeitgenosse ist: die Oberlippe. Schmal wie ein Strich kann sie sein oder prallvoll wie bei dem sprichwörtlichen Kussmund.
Dünne Oberlippe – der Effiziente
Gäbe es eine Weltmeisterschaft im Auf-den-Punkt-Kommen, der Effiziente würde sich die Goldmedaille holen. Sein Erfolgsgeheimnis lautet: kurz und bündig. Um seinen Meinungen und Gedanken Ausdruck zu verleihen, braucht er keine langen Reden oder großen Vorträge. Er macht das Meiste mit sich selbst im Kopf aus, fasst die Ergebnisse anschließend gedanklich zusammen und formt daraus die kurzen Sätze, die er mit seinen Zuhörern teilt. Er setzt auf maximales Ergebnis bei minimalem Sprecheinsatz, daher auch der Name: der Effiziente.
Die entscheidenden Dialoge finden beim Effizienten sozusagen hinter verschlossenen Türen statt, in seinem Kopf und völlig unbemerkt von der Außenwelt. So kommt es im Umgang mit diesem Kunden schon einmal zu der einen oder anderen Schweigeminute, in der kein einziges Wort fällt, aber intensiv nachgedacht wird. Nur sehen kann man das von außen natürlich nicht. Das mag vor allen Dingen für solche Verkäufer irritierend sein, die sich gerne mit dem Kunden unterhalten und im Verlauf eines freundlichen Gesprächs zu einem Abschluss gelangen. Für solche Strategien ist der Effiziente in aller Regel der falsche Gesprächspartner.
Auch Telefongespräche sind mit diesem Kundentyp nicht ganz so beglückend, vor allem Dingen dann nicht, wenn man selbst eher eine Quasselstrippe ist und die modernen Formen der Kommunikation gerne für ausführliche Gespräche nutzt. Der Effiziente ist eher der Typ schweigsamer Indianer, der seine Zustimmung auf ein kurzes »Howgh« beschränken möchte. So ein Indianer musste ja auch seine Information in wenige Rauchzeichen packen können – aus Sicht des Effizienten eine ideale kurze Form der Verständigung.
Effiziente sind Sprechpuristen, ihr Auftritt ist schnörkellos und auf das Wesentliche konzentriert: Übertragen auf die Architektur wäre ein Effizienter ein Kubus in Bauhaus-Optik und alles andere als ein verziertes Barockschlösschen. Bestenfalls besiegelt er sein Anliegen im persönlichen Gespräch noch durch eine kurze Berührung am Arm, unter engen Freunden oder im Familienkreis auch mal mit einer Umarmung. Die körperliche Nähe gibt dem Effizienten die Möglichkeit,
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