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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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während der
Jagdsaison bei einem Sturz vom Hochsitz die Hüfte zertrümmert hatte und so in
den Ruhestand gezwungen worden war. Nun zog er im Garten Gemüse und kochte
daraus Soßen für seine hausgemachten Nudeln. Mittags stellte
Mrs. McCallister oft einen Teller auf Affenlights Schreibtisch. Selbst in
der Mikrowelle aufgewärmt schmeckte es vorzüglich.
    Owen machte es sich zur Gewohnheit, an Tagen, an denen die
Harpooners kein Heimspiel hatten, gegen halb fünf, wenn Mrs. McCallister
fort war, in Affenlights Büro vorbeizuschauen; verletzungsbedingt konnte er
bisher noch nicht wieder mit der Mannschaft reisen oder trainieren. Er betrat
dann wortlos das Büro, schloss die Tür hinter sich und befreite sich von seiner
Umhängetasche, an deren Schultergurt ein Regenbogen-Button, ein
Rosa-Winkel-Button, ein schwarz-weißer Yin-und-Yang-Button und einige weitere
befestigt waren, auf denen KLIMANEUTRALITÄT JETZT, MINDESTLOHN FÜR ALLE und WESTISH
BASEBALL stand. Dann legte er sich auf das Zweiersofa, das dafür
eigentlich nicht lang genug und ohnehin zu hart war, um wirklich bequem zu sein,
was Owen jedoch nicht zu stören schien. Er streifte die Schuhe ab, kreuzte die
schmalen Fesseln auf der Sofalehne und schloss die Augen, die Finger auf der
sanften Erhebung seines kindlich anmutenden Bauches verschränkt. Das einzige
Indiz dafür, dass er nicht schlief, war das langsame, bedächtige
Gegeneinanderklopfen seiner Daumeninnenseiten. Er wollte, dass Affenlight ihm
vorlas.
    Auch Affenlight wollte
das. Der ursprüngliche Vorwand für diese Zusammenkünfte war gewesen, dass Owen
nach seiner Gehirnerschütterung Sehschwierigkeiten gehabt hatte. Jetzt, zwei
Wochen nach dem Unfall, war Affenlight nicht sicher, ob das immer noch zutraf –
Owen wandte häufig den Kopf und las auf der Seite mit –, aber nachfragen und
damit den Bann brechen wollte er nicht. Er erhob sich von seinem
Schreibtischstuhl, der zu altertümlich und zu schwer war, um ihn einfach
verschieben zu können, und wechselte auf einen der mit den Westish-Insignien
versehenen Spindelstühle für Besucher, den er nah ans Sofa heranzog. Owen holte
seine Pflichtlektüre aus der Tasche und reichte sie Affenlight – an diesem Tag
waren das die letzten beiden Akte von Der Kirschgarten und ein schwülstiger dramentheoretischer Aufsatz aus einem schlecht kopierten
Semesterapparat. Affenlight begann zu lesen.
    »Findest du das hier
nicht auch merkwürdig?«, murmelte Owen irgendwann, als Affenlight umblätterte.
    »Was denn?«
    Owen rieb sich den
Bauch, die Augen noch immer entspannt geschlossen. »Du weißt schon. Unsere
täglichen Nachmittage hier. Ich liege da, du liest mir vor, und wir reden.«
    »Ich finde es auch
ziemlich außergewöhnlich«, stimmte Affenlight zu. »Ich habe dergleichen
jedenfalls noch nie gemacht.«
    »Das meine ich nicht.«
Owen setzte sich behände auf, öffnete die Augen und sah Affenlight
durchdringend an. »Ich meine eher … Es ist beinahe so, als würdest du mich gar
nicht mögen.«
    »Das tue ich aber.«
Affenlight streckte die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über den
kleinen knöchernen Hügel an Owens Schädelansatz, aber die Geste wirkte
unzureichend, wenn nicht gänzlich unpassend. Er war verschüchtert wie ein
Schuljunge. Seit diesem ersten vorsichtig tastenden Moment auf dem
mondbeschienenen Linoleum hatten sie sich nicht berührt.
    »Ich weiß nicht, ob du
weißt, was du tust.«
    Etwas in Affenlight
ärgerte sich über Owen, der seine Seligkeit gestört oder gar abgewiesen hatte.
Denn es war Seligkeit, was er empfand, wenn er hier mit Owen saß und ihm
vorlas, selbst wenn es staubtrockene Sätze aus einem schlecht kopierten
Semesterapparat waren. Von all den Dingen, die zwei Menschen im Verborgenen
miteinander tun konnten, hatte Affenlight eine besondere Vorliebe für das
gegenseitige Vorlesen. Vielleicht hatte das mit seinem Hang zu Einsamkeit und
Abschottung zu tun, denn es bot ihm eine Möglichkeit, sich zu offenbaren, sich
gleichzeitig jedoch hinter fremden Worten zu verstecken. Vielleicht hätte er
Schauspieler werden sollen. Er hatte oft gedacht, dass Pella eine hervorragende
Schauspielerin abgeben würde.
    Owen rutschte näher an
ihn heran, beugte sich zu ihm vor, nahm sein Gesicht in beide Hände und gab ihm
einen Kuss, der echt und unmissverständlich war und gleichzeitig weich und
vorsichtig, da er den lädierten Bereich seines Gesichts leicht abwandte. In
einem Moment außergewöhnlicher Klarheit, der

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