Kunst des Feldspiels
einer Epiphanie verdächtig nahe
kam, begriff Affenlight, dass es eine Vielzahl von Lebensmodellen gab, die
niemals benannt oder gelebt worden waren. Die Glocken der Kapelle stimmten ihr
langes, langsames Sechs-Uhr-Lied an. Seine Zunge, Owens Zunge, zwei Zungen.
Immerhin war er noch nicht zu alt, um Lippen zum Küssen zu haben. Er dachte an
die whitmansche Anziehungskraft: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Nur dass
Owen und er einander nicht sehr glichen und Owen zu küssen im Grunde ähnlich
war, wie eine Frau zu küssen; wenn man die Augen schloss, spürte man die
gleiche Zartheit, die gleiche Berührung der Nasen, dieselbe dichte Feuchtigkeit
der Wangeninnenseiten. Nur dass sich Affenlight bei Frauen nach vorn lehnte und
jetzt nach hinten.
Owen schlüpfte aus
seinem weichen, gischtfarbenen Pullover mit dem Loch am Ellbogen. Affenlights
Fingerkuppen fuhren an den nackten Armen unterhalb der T-Shirt-Ärmel entlang.
Dann küssten sie sich wieder, küssten sich weiter und weiter, und noch immer
war es dem, was zwischen Mann und Frau passierte, überraschend ähnlich – wobei,
dachte Affenlight, wahrscheinlich niemand außer mir naiv genug wäre, davon
überrascht zu sein –, und dann legte Owen eine Hand über die Wölbung, die sich
im Schritt von Affenlights Fischgrät-Hose gebildet hatte. Affenlight zuckte
zusammen. Owen hielt inne und sah ihn an. »Alles in Ordnung?«
War alles in Ordnung?
Er war nervös, sicher. Sogar ängstlich. Wäre Owen ein Mädchen gewesen, hätte
Affenlight sich Sorgen über Rollenverteilungen, ethische Fragen und
Machtstrukturen innerhalb der Situation gemacht – das war der Hauptgrund dafür, dass es nie mit einem Mädchen passiert war –, hier
aber gab es so viel anderes, um das er sich Sorgen machen musste, und es war
klar, wer die Macht hatte: Owen. Affenlight fühlte sich benommen, schwindelig.
Aber er hatte es so weit kommen lassen, und er fand keinen Grund, jetzt
aufzuhören. Er nickte.
»Bist du sicher?«
»Ja.«
Owen öffnete den Knopf
der Hose und zog den Reißverschluss herunter, zierlichen Silberzahn für
zierlichen Silberzahn, ein listiges Lächeln im Gesicht, ein äußerst
vielschichtiges Lächeln, schelmisch, gleichzeitig verzückt und womöglich ein
kleines bisschen hinterhältig, ein wundervoll weichhäutiger Mensch – rasierte
er sich überhaupt je? –, der zwar nicht zwangsläufig alt werden, doch ganz
sicher eines Tages sterben würde. Mit den Händen beseitigte er die Hindernisse
in Form von Hose und Unterhose, holte Affenlight ans Licht – Affenlight , eine seltsame Synekdoche –, beugte sich vor und
küsste auf feminine Art seine Penisspitze. Und küsste einige Sekunden weiter,
bevor er aufschaute. »Ich glaube, ich kann nicht«, sagte er und hob den Kopf;
das Lächeln war nun zu deuten, voller Bedauern, zartfühlend, gepaart mit einem
Hauch Ironie. Mit dem Finger tippte er sich an den verletzten Kiefer. »Ich kann
meinen Mund kaum öffnen.«
»Das macht nichts«,
sagte Affenlight und meinte es auch so, obwohl seine Stimme eigenartig und
heiser klang. Er nahm Owens Pullover vom Sofa und fing an, ihn zu falten, Ärmel
auf Ärmel. Er fuhr über den mittigen Falz und legte sich den Pullover über den
Arm, während er ein Entzücken empfand, das der Erhabenheit dieses Aufschubs
geschuldet war, der sich so drastisch von dem fieberhaften Kleidergezerre der
Liebespaare im Film unterschied. Vor langer Zeit hatte er gemerkt, dass es ihm
ein Stechen erotischer Lust bereitete, einer Freundin die Jacke zuzuknöpfen,
den Reißverschluss ihres Pullovers bis obenhin zu schließen, sie gegen die
nordische Kälte von Westish, New Haven, Cambridge und dann wieder Westish zu
vermummen. Nachdem er den Pullover ordentlich zu Ende gefaltet hatte,
platzierte er ihn zwischen Owens Two-Tones, die aussahen wie Sattelschuhe von
anno dazumal, auf den unebenen Holzdielen, glitt mit der Geschmeidigkeit eines
Mannes, der noch keine vierzig war, und dem tüchtig pochenden Herzen eines
Siebzehnjährigen vom Stuhl und kniete sich auf den Pullover, eine Hand auf je
einem von Owens Knien. Ironischerweise erinnerte ihn das Hinknien, egal unter
welchen Umständen, immer an seine Kindergebete neben dem Bett: die alte
Lateinische Messe – seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte er kaum eine
Kirche betreten – und, der späten Stunde gemäß, die Abendgebete. Ad cereum benedicendum, wie es immer geheißen hatte.
31
—
Henry und Starblind standen einander gegenüber, machten
mit
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