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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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Kranken und Sterbenden umgeben. Das gab ihnen das
Gefühl, unverwundbar zu sein – und sich unverwundbar zu fühlen machte sie zu
Arschlöchern. Sie glaubten, das Leiden zu verstehen, weil sie es täglich sahen.
Einen Scheiß verstanden sie. Außerdem konnten sie sich selbst die Medikamente
verschreiben, von denen sie wussten, dass sie sie brauchten, ohne sich von
Leuten, die nicht einmal die gottverdammte Nicomachische
Ethik gelesen hatten, einen Vortrag zum Thema Mäßigung anhören zu
müssen.
    Dr. Kellner erhob
sich und sah auf die Uhr.
    »Also gut«, sagte
Schwartz. »Geben Sie mir die verdammte Spritze.«

62
    —
    Auf dem Weg zurück zum Campus sagte Schwartz sich, dass er
es nicht tun würde. Aber dann steuerte er den Buick doch die Groome Street
hinunter, um zu sehen, ob es stimmte, was er gehört hatte. Er hielt ein Haus
weiter auf der anderen Straßenseite, im Schatten eines gewaltigen Ahornbaums.
Die Vorhänge im Wohnzimmer waren nicht zugezogen. Ein Fernseher flimmerte
bläulich, aber soweit Schwartz erkennen konnte, schaute niemand zu. Er stellte
den Motor ab. Das Cortison half, das musste er zugeben. Er fühlte sich
beschissen, er schwitzte wie verrückt, sein Herz hämmerte ununterbrochen, aber
seine Knie würden die Spiele am Wochenende durchstehen. Ohne besonderen Grund
nahm er seine Armbanduhr ab und schnallte sie um das oberste Segment des
Lenkrads. Zehn Minuten vergingen. Fünfzehn. Wenn er jetzt nicht aufbrach, würde
er zu spät zum Training kommen.
    Er war gerade dabei, die Uhr wieder vom Lenkrad zu nehmen, als er
sah, wie jemand die Groome Street heraufkam und durch das niedrige
Maschendrahtgatter von Nummer 339 ging. Langes dunkles Haar, kniehohe
Lederstiefel, Burberry-Mantel. Noelle Pierson. Dann war es also das richtige
Haus; er hatte gehört, dass sie sich bei Noelle aufhielten. Aber es war nichts
zu sehen. Schwartz ließ den Motor an. Noelle erklomm die drei Stufen zur
Veranda. Sie war im dritten Jahr und studierte im Hauptfach Geschichte; sie
hatten ein paar Mal miteinander herumgemacht, als er im zweiten Jahr gewesen
war und sie noch im Wohnheim gewohnt hatte. Als sie ihren Stiefelabsatz auf die
Veranda setzte, hörte der Fernseher auf zu flimmern. Eine Gestalt in einem
verblichenen roten T-Shirt sprang vom Sofa auf und eilte aus dem Zimmer. Er war
die ganze Zeit dort gewesen. Schwartz lenkte den Buick langsam vom Bordstein
weg.

63
    —
    An diesem Nachmittag spulten die Harpooners ein ebenso
flaues und planloses Training ab wie schon am Tag zuvor. Selbst Coach Cox
wirkte lethargisch. Schwartz, der wegen seiner Knie nicht mittrainieren konnte
und auch nicht länger nur zuschauen wollte, ging zurück in die Umkleidekabine,
um sich einzuweichen. Er lag im Whirlpool, als seine Mannschaftskameraden
hereinkamen. Durch die halbgeöffnete Tür konnte er hören, was gesprochen wurde.
    »Was glaubt ihr, wie gut diese Teams sind?«, fragte einer der
Jüngeren, wahrscheinlich Loondorf. »Verglichen mit Coshwale.«
    »Sieh’s mal so«,
antwortete Rick. »Coshwale hat die Conference in den letzten zehn Jahren wie
oft gewonnen, acht Mal?«
    »Okay.«
    »Und sie haben es nie
in die Nationalrunde geschafft. Es ist immer eine Mannschaft aus den River
Nine. Oder der WIVA . Aber meistens River Nine. Das sind Tiere.«
    »Wer ist die
River-Nine-Mannschaft?«
    »Northern Missouri.«
    »Kacke. Northern
Missouri.«
    »Die haben 2006 das ganze verdammte Ding gewonnen.«
    »Sind die in unserer
Gruppe?«
    »Glaub schon. Wir spielen
wohl gegen die, wenn wir McKinnon schlagen.«
    »Northern Missouri.
Scheiße.«
    »Ja.«
    »Wir könnten Henry echt
brauchen, wenigstens als zehnten Mann.«
    »Amen.«
    »Wird so oder so eine
Erfahrung werden.«
    »Aber wer weiß?
Vielleicht schlagen wir ja McKinnon. Starblind auf dem Hügel, und dann mal
sehen.«
    »Henrys Arm könnten wir
trotzdem brauchen.«
    »Eins steht jedenfalls
fest: Wenn es vorbei ist, machen wir Party. Egal, wie die Sache ausgeht.«
    Schwartz lag nicht mehr
im Whirlpool. Er war durch die Tür durch und kam auf sie zu, nackt und triefend
und so schnell, dass seine Füße über den Betonboden schlitterten. Er riss Rick
in die Luft und presste ihn gegen die Spinde, beide Hände in sein T-Shirt
gegraben, um ihn besser heben zu können. »Du willst Party machen?«, schrie er
mit einer Stimme, die weniger eine Stimme war als eine Heimsuchung von einem
sehr finsteren Ort. »Ist es das, was du willst?«
    Rick schüttelte den
Kopf. Er zitterte leicht, hatte den

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