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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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fertig war, ging sie hinüber zum VAC , die
Kapuze ihres Sweatshirts eng um den Kopf festgezurrt wie eine Burka. Natürlich
verhinderte das nicht, dass sie von jemandem gesehen wurde – aber es
verhinderte, dass sie jemanden sah. Sie schwamm fünfzehn Bahnen in ihrem sich
langsam steigernden Rhythmus, duschte und kehrte zur Mittagsschicht wieder
zurück.
    Am späten Nachmittag
half sie, das Salatbuffet fürs Abendessen aufzubauen. Küchenchef Spirodocus
tauchte aus seinem winzigen Büro auf, wo er sich vergraben hatte, um Papierkram
zu erledigen. »Heute«, sagte er, »machen wir mein Lieblingsessen. Eier
Benedikt.«
    In den ersten Lektionen
war es um ganz elementare Dinge gegangen: Wie man in der Küche stand, ohne den
Rücken zu belasten. Wie man ein Messer hielt. Dann, wie man schnitt, hackte,
würfelte, zerkleinerte, tranchierte und stiftelte. Pellas Hände waren über und
über mit Kerben und Schnitten bedeckt – der nach wie vor geschwollene
Mittelfinger machte die Sache nicht besser –, aber ihre Fertigkeiten
verbesserten sich von Tag zu Tag. Küchenchef Spirodocus hatte ihr gesagt, dass
sie noch vor dem Herbst zum Hilfskoch aufsteigen könnte, was gut war, denn die
Teller langweilten sie allmählich.
    Die Hollandaise wurde
perfekt, cremig und sämig, aber nicht zu schwer. Pella drapierte das fertige
Gericht auf einem Teller und reichte es bei den Abendschichtlern herum, die
beifällig nickten. Sie wollte Henry etwas mitbringen, aber sie wusste, dass er
etwas so Gehaltvolles nicht anrühren würde. Er hatte in letzter Zeit kaum etwas
gegessen. Stattdessen füllte sie einen leeren Plastikbehälter mit Suppe aus dem
großen Tontopf, der beim Salatbuffet stand, und steckte ihn in ihren Rucksack.
    Als sie nach Hause kam,
saß Henry auf der Couch, die Fernbedienung des ausgeschalteten Fernsehers lag
neben ihm, weder ein Buch noch eine Zeitschrift waren in Sicht. Pella legte
eine Hand auf den Apparat, um zu prüfen, ob er warm war – ja. Was für einen
eigenartigen Stolz musste jemand empfinden, der den ganzen Tag lang untätig in
einem fremden Haus saß, sich aber nicht beim Fernsehen erwischen lassen wollte.
    »Jemand zu Hause?«,
fragte sie schwungvoll.
    »Nur ich.«
    »Wie war dein Tag?«
    »Nicht schlecht.«
    »Das ist doch gut.«
    Sie war die falsche
Person, um sich um jemanden zu kümmern – oder jemanden zu betreuen –, der so
depressiv war: Sie war zu nachsichtig, zu einfühlsam. Henry wäre bei jemand
Robusterem besser aufgehoben gewesen, bei jemandem, der nie selbst depressiv
gewesen war und nicht wusste, wie es sich anfühlte. Wenigstens hatte er es
geschafft, seine Kleider von der Waschmaschine in den Trockner zu packen und
sie anschließend wieder anzuziehen. Das war doch immerhin etwas.
    Der leere Ausdruck auf
seinem eingefallenen Gesicht erinnerte sie an all die Tage, die sie in ihrem
und Davids gemeinsamem Bett verbracht hatte, festgenagelt vom weißen
Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster des Lofts fiel (Ein
gewisses schräges Licht …) . Keine gute Zeit. »Hast du Hunger?«, fragte
sie. »Ich habe Suppe mitgebracht.«
    Er zögerte, überlegte,
was schwerer wog: seine Abneigung gegen Nahrung oder die milde Zurechtweisung,
die ihn erwartete, wenn er ablehnte. »Ich mache sie warm«, sagte Pella und ging
in die Küche. Sie schüttete die Suppe in einen Topf, drehte das Gas auf und
wartete darauf, dass die Zündflamme anging.
    Henry, der ihr in die
Küche gefolgt war, ging zur Spüle und füllte seine Gatorade-Flasche mit Wasser.
Überallhin nahm er das Ding mit. Zumindest trug er es vom Schlafzimmer ins Bad
ins Wohnzimmer in die Küche – soweit Pella sagen konnte, waren das die einzigen
Orte, wo er hinging. Er leerte die Flasche in einem langen Zug, füllte sie
wieder auf und schraubte den orangen Plastikverschluss zu. Die Stoppeln auf
seinem Gesicht und seinem Hals wurden länger. Männer und ihre Bärte. »Du hast
ja gespült«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Danke.«
    »Na klar.« Er schraubte
den Verschluss wieder ab und nahm einen weiteren großen Schluck. »Dein Vater
hat angerufen.«
    »Wann?«
    »Als ich beim Seminar
war. Er hat auf den AB gesprochen.«
    Pella bezweifelte, dass
Henry zum Seminar gegangen war – überhaupt war heute Samstag, wie ihr aufging.
Was bedeutete, dass morgen Sonntag war, ihr freier Tag. Mit einem Löffel rührte
sie in der blubbernden Suppe und ging dann ins Wohnzimmer, um den
Anrufbeantworter abzuhören.
    »Ich habe die Nachricht
gelöscht«, sagte Henry.

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