Kunst des Feldspiels
angereicherte
Vollkorn-Vermicelli. Viererpacks von zuckerfreiem Red Bull. Eine Dose schwarze
Bohnen. Es waren einmal zwei Dosen schwarze Bohnen gewesen: Die andere hatte er
während seiner ersten Tage hier, als er sich noch an seinen fehlenden Appetit
gewöhnte, gegessen. Auch einen mädchenhaften Proteinriegel hatte er gegessen.
Einmal hatte er sogar versucht, Vermicelli zu kochen. Er hatte noch nie zuvor
Nudeln gekocht, und die Aufgabe wurde dadurch erschwert, dass er immer wieder
zum Wohnzimmerfenster laufen musste, um zu schauen, ob Courtney und Noelle auch
nicht hereinkamen und ihn dabei erwischten, wie er ihre Lebensmittel klaute. Er
setzte nicht genügend Wasser auf, schüttete dann viel zu viele Vermicelli
hinein, die er dann viel zu lange kochte. Das Wasser verdampfte und die Nudeln
lagen als matter Klumpen darin, wie das Gehirn eines Tiers. Jetzt zog er es
vor, nichts zu essen. Nicht weil nichts essen auch nichts klauen bedeutete und
nichts essen auch nichts kochen hieß, sondern einfach nur so.
Ich sollte auch
aufhören, Kaffee zu trinken, dachte er. Beinahe hätte er gedacht, den Kaffee aufgeben , aber das war eine irreführende
Formulierung. Sie schien einen Sinn zu enthalten, den es nicht gab. Wenn man
etwas aufgab, für wen oder was gab man es dann auf?
Etwas aufzugeben implizierte, dass das Opfer einen Sinn hatte, und Henry
wusste, dass dies nicht der Fall war. Die Tage fügten sich nicht zusammen, um
zu etwas Besserem als Tagen zu werden, egal wie sinnvoll man sie nutzte. Die
Tage konnten nicht genutzt werden. Er hatte keinen Plan. Er hatte aufgehört,
Baseball zu spielen und Bohnen zu essen, und jetzt würde er aufhören, Kaffee zu
trinken. Das war alles.
Die Haustür ging auf.
Henry erstarrte und lauschte
seinem Herzschlag. Er war wie eine Ratte oder Schabe in diesem Haus – wenn er
allein war, gehörte es ihm, dann durchstreifte er die Räume wie der Gott der
Schaben, und wenn ein menschliches Wesen hereinkam, kroch er schnell irgendwo
unter. Jetzt war er gefangen. Er schnappte sich einen Topf, den er bereits
gespült hatte, tränkte den Schwamm mit Seifenlauge und spülte den Topf noch
einmal. Für Pella war es zu früh, sie hatte die Abendschicht, und selbst Pella
wäre ein zweifelhafter Segen gewesen. Sie hatte ihn gedrängt, tagsüber mehr
nach draußen zu gehen, und er hatte zustimmend genickt. Er wusste bei ihr nie,
was er antworten sollte.
Er schrubbte weiter an
dem sauberen Topf herum und tat, als höre er die Schritte im Wohnzimmer durch
das laufende Wasser hindurch nicht, spüre die Hitze der Blicke nicht, die die
Person im Türrahmen aussandte.
»Henry.«
Eine derart leise
Stimme ließ sich glaubhaft ignorieren.
»Henry.«
Eine derart
nicht-mehr-ganz-so-leise Stimme ließ sich etwas weniger glaubhaft ignorieren.
»HENRY.«
Er ließ das Wasser
laufen und drehte sich um, die Hände von Schaum bedeckt. Pellas Haar war
zurückgebunden, ihre Ohren glühten rot. Sie seufzte und ließ ihre Korbtasche
mit Suppe und Schwimmsachen unsanft aufs Linoleum fallen.
»Wir müssen reden.«
Vielleicht hatte er
eine uringefüllte Gatorade-Flasche neben dem Bett stehen lassen. Er versuchte
aufzupassen, versuchte daran zu denken, die Flaschen in die Toilette zu leeren
und täglich auszuspülen, aber ein Teil von ihm, der wahrhaftigste Henry-Teil, wollte nicht daran denken, wollte den Urin für immer
behalten, und vielleicht hatte er zugelassen, dass dieser Teil die Oberhand
gewann. Es war die einzige wirkliche Freiheit, die er besaß: mittags mit von
Wasser und Kaffee gefüllter Blase aufzuwachen und im Schlafzimmer einen
andauernden, klaren Strahl in die Flasche zu pissen, ohne auf den Flur hinaus
zu müssen, sich Gedanken darüber machen zu müssen, ob sich jemand im Bad befand
oder an die Tür klopfen würde, während er pinkelte, und sich über ihn ärgerte,
weil es überhaupt nicht sein Bad war.
Es war die Freiheit
eines Dreijährigen, ja, das war ihm bewusst. Wie an jenen Augustabenden in den
See zu pissen, wenn Schwartz ihn wie einen Hund gehetzt hatte und er danach
weit hinausgeschwommen war und sich umgedreht hatte, um die wenigen Lichter zu
betrachten, die ihm vom Westish-Ufer aus zuzwinkerten. Er wollte die
Gatorade-Flasche nicht ausspülen, klar? Er wollte eine Dauerausstellung seiner
gesammelten Pisse und Kacke – wobei es, seit er aufgehört hatte zu essen, auch
mit dem Kacken vorbei war.
»Okay«, sagte er.
Schaumblasen liefen seine Handrücken hinab. »Lass uns
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