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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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von denen man wusste , dass niemand sie
auffangen würde. Man musste seine Worte dorthin schicken, wo sie einem nicht
mehr gehörten. Es fühlte sich besser an, mit einem Ball in der Hand zu
sprechen, es fühlte sich besser an, den Ball sprechen zu lassen. Aber die Welt,
die Nicht-Baseball-Welt, die Welt der Liebe, der Sexualität, der Arbeit und der
Freunde, war aus Worten gemacht.
    Pella schlürfte ihren
Kaffee, sah ihn an und wartete. Es ließ sich unmöglich sagen, wie sie in drei
oder dreizehn oder dreiunddreißig Jahren aussehen würde. Vielleicht würde ihr
ein drittes Auge wachsen, oder der merkwürdige purpurne Ton ihres Haars würde
sich über Nacht in Schneeweiß verwandeln. Wahrscheinlicher war, dass ihre
seltsame Schönheit mit jedem Jahr zunehmen würde, wenngleich, zumindest für
ihn, nicht vorhersehbar war, welche Richtung diese Schönheit einschlagen würde.
Was sie von den anderen Mädchen in Westish unterschied, von allen anderen
Mädchen, die er kannte. Nicht dass er Pella geliebt hätte. Das tat er nicht.
Aber er konnte sich vorstellen, dass jemand sie lieben könnte, und dieser
Jemand war Schwartzy. Eigentlich passten sie perfekt zusammen. Wenn er, Henry,
sich damals, bevor er am Campus angekommen war, hätte vorstellen können, wie
die Frauen von Westish aussahen – zwölfhundert Mädchen der Sorte, mit der Mike
Schwartz ausgehen würde –, dann hätte er sich zwölfhundert Pella Affenlights
vorgestellt.
    Aber wenn Pella und
Schwartz ein perfektes Ganzes ergaben, wie Yin und Yang auf Owens liebstem
Schlafanzug oder die Außenhülle eines Baseballs, zwei Stücke Unendlichkeit,
zusammengenäht mit dem roten Garn der Liebe, dann gab es keinen Platz für
Henry. War man ein Junge und liebte ein Mädchen, konnte man gemeinsam Pläne
schmieden. War man ein Junge und liebte einen Jungen – er dachte an Owen und
Jason Gomes, die auf den Stufen der Birk Hall, die Köpfe zusammengesteckt,
einen Joint teilten; er verfügte über kein vergleichbares Bild von Owen und
President Affenlight, das er hätte heraufbeschwören können –, konnte man
ebenfalls gemeinsame Pläne schmieden. Die Welt wäre gegen einen, würde einen
bedrohen und beschimpfen, aber sie würde es zumindest verstehen. Sie hatte
Begriffe für das, was man tat. Aber wenn man Henry war und Mike brauchte, war
man schlicht und ergreifend angeschmiert. Dafür gab es keine Begriffe, keine
Zeremonie, die die gemeinsame Zukunft garantierte. Jeder neue Tag war nicht
mehr als ebendies: ein Tag, eine Leerstelle, ein Nichts, in dem man sich und
seine Freundschaft immer aufs Neue erfinden musste. Alles, was man je getan
hatte, wog nichts. Es konnte alles verschwinden, einfach so. Einfach so wie
jetzt.
    »Ich habe mir
vorgenommen«, sagte Pella mit leiser Stimme, »wenn du nicht wieder zur Arbeit
gehst, die Pillen nicht ausprobierst und dir nicht von jemandem helfen lässt,
schmeiße ich dich raus.«
    Henry nickte und
starrte seinen Handrücken an, den Rücken der Hand, die den Geruch des Kaffees
stoppte.
    »Und du wirst nichts
davon tun, habe ich recht?«
    Er bewegte die Hand,
schaute auf die zitternde Oberfläche des Kaffees. Er dachte, Ich werde keinen Kaffee mehr trinken . Kaffee war zu dunkel,
zu schmutzig. Zu sehr wie Nahrung. Der Gedanke, keinen Kaffee und keine Nahrung
mehr zu sich zu nehmen, machte ihn einen Augenblick lang glücklich. Er wollte
dem Glücksgefühl dorthin folgen, wohin es ihn führte – er wollte es, und er
würde es auch tun. Es war eine Reise, auf die er sich begeben würde. Auf die er
sich schon begeben hatte: Wie viele Tage war es her, dass er mehr als einen
Löffel Suppe gegessen hatte? Und mit jedem Tag, jeder Stunde, jeder Minute
wurde die Reise länger. Er wusste, was passieren würde, wenn er etwas aß: Sein
Körper würde die Nahrung umwühlen, auspissen, ausschwitzen und auskacken, würde
kleine Proteinsegmente auf seine Schultern türmen, bis er aussah wie der Typ
auf der SuperBoost-Packung. Er wusste, wie man Teil dieses Zyklus wurde. Aber
nicht zu essen, das war neu. Es war neu und für ihn allein bestimmt: Er konnte
Pella nicht davon erzählen. Sie würde es nicht verstehen.
    »Habe ich recht?«,
wiederholte Pella.
    Henry nickte. »Ich kann
nicht.«
    »Okay.« Er konnte
sehen, wie sie ihre ganze Entschlossenheit zusammennahm. Er hatte ein
schlechtes Gewissen, weil er sie dazu zwang. »Okay«, sagte sie. »Ich denke,
dann solltest du wohl besser gehen.«
    Henry schob seinen
Stuhl zurück und stand auf. Seine

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