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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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Kopf.
»Bitte?«
    »Seine Tochter«, sagte
Melkin.
    »Meine Tochter. Sie ist
zum Herbstsemester aufgenommen worden. Aber nur informell. Ihre Situation ist
etwas unorthodox. Zur Aufnahme fehlen ihr noch ein paar Punkte.«
    »Das sollte kein
Problem darstellen.«
    »Was ist mit ihren
Studiengebühren?«
    Bruce zögerte.
Affenlight wusste nicht, ob er zu dreist war oder nicht einmal annähernd dreist
genug. Sollte er nicht einfach wild um sich schlagen? Sich nicht voller Wut
gegen diese Selbstgefälligkeit, diese gottverdammte Selbstgefälligkeit, diese
philisterhaft verschissene Selbstgefälligkeit auflehnen? Contangos blaues Auge
raste zu irgendeinem Endpunkt, an dem es kehrtmachte, um wieder zurückzurasen.
Jetzt sprach Bruce.
    »Ich kann mir nicht
vorstellen, dass die Tochter eines ehemaligen Präsidenten in Westish
Studiengebühren bezahlen müsste. Oder seine Enkel. Oder die Enkel seiner Enkel.
Das wäre gegen das System.«
    Das System. Affenlight
nickte, sah auf seine Krawatte, hob eine zitternde Hand, um sie
überflüssigerweise glattzustreichen. Er versuchte an Chelsea zu denken, eine
Wohnung in Chelsea, er und Owen händchenhaltend auf der Eighth Avenue. Oder
Tokio, wie wäre es mit Tokio, aber das Bild wollte sich nicht einstellen. Die
Hand fiel in seinen Schoß. Er war tief in seinen Stuhl gesunken, unfähig, sich
zu bewegen, seine Kräfte zu bündeln. Im Handumdrehen war er zu einem alten Mann
geworden, einem welken, nachgiebigen alten Mann.
    »Wenn du deine
Rücktrittserklärung einreichst, wirksam zum Ende des Studienjahres«, sagte
Gibbs, »wird es keine weiteren Nachforschungen durch den Hochschulrat geben, in
dessen Namen ich als unilateraler Vertreter handle. Du bist frei und kannst
dich andernorts gänzlich unbelastet um eine Professur oder ein Rektorenamt
bewerben. Dekan Melkin wird diese Mappe hier in den Aktenvernichter stecken.«
    Affenlight verspürte
einen starken, dumpfen Schmerz, wo sein Hals in die Schulter überging. Er holte
seine Zigaretten aus der Jackentasche und steckte sich mit linkischen
Bewegungen eine an. Das zumindest konnten sie ihm nicht verbieten.
    »Mr. Dunne ist vom
Fachbereich Darstellende Kunst als Dozent für die Sommer-Uni berufen worden,
die am 12. Juni beginnt. Solltest du
beabsichtigen, dein jetziges Amt über dieses Datum hinaus wahrzunehmen, sind
wir gezwungen, Ms. Wister zu informieren und eine gründliche Untersuchung
vorzunehmen.« Bruce hob den Blick und sah Affenlight an. Seine bürokratische
Beherrschtheit bröckelte, und für einen kurzen Augenblick schien seine Verwirrung,
seine Verlorenheit beinahe Affenlights eigener zu entsprechen. »Sind wir uns
einig?«

72
    —
    Affenlight klopfte an die Tür. Keine Antwort. Er zog den
einbehaltenen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn ins Schlüsselloch.
    Ein dichter Gestank wie in einem muffigen Umkleideraum attackierte
ihn, bevor er über die Schwelle treten konnte. Er wich ins Treppenhaus zurück,
sog die Lungen voll sauberer Luft und betrat dann den in abendliche Düsternis
gehüllten Raum. Kein Henry. Er zog die Jalousien hoch und stieß die Fenster
auf. Auf Henrys Schreibtisch verstreut lagen einige zylindrische Plastikbecher
wie die, in denen Joghurt oder Margarine verkauft werden. Die ohne Deckel
wurden von punktartigen Fruchtfliegen umsummt. Sie schienen mit verschiedenen
Arten geronnener Suppe gefüllt zu sein. Affenlight verscheuchte die Fliegen,
nahm zwei der Behälter und ging damit in Richtung des Badezimmers mit dem
Schachbrettfußboden, um den Inhalt in die Toilette zu kippen.
    Im Badezimmer brannte
kein Licht, aber in der Badewanne lag Henry, nackt und bis zum Hals im Wasser,
das eine unangenehme blassgelbe Farbe hatte. Sein sich hebendes und senkendes
Zwerchfell ließ die Wasseroberfläche erzittern. Er schlief.
    Affenlight sah hinab
auf die Suppe in seinen Händen. Links Hühnersuppe mit Nudeln, ein dünnes Vlies
aus Fett darauf, rechts Bohnensuppe.
    Abgesehen von seinem
ungepflegten braunen Bart und dem gleichfarbigen Schamhaar war Henry
gespenstisch blass. Seine lose im Wasser treibenden Hände waren schrumpelig wie
Rosinen, seine Körperflüssigkeiten sickerten in den ihn umgebenden
Wannenkörper. Der Kiefer arbeitete. In die zu kleine Wanne gequetscht, die
Wangen eingefallen, die Muskeln schlaff im Wasser hängend, wirkte er zugleich
zu groß und zu klein, schien exakt die falsche Größe zu haben.
    Affenlight schlich aus
dem Badezimmer, stellte die Suppenbehälter auf den Tisch und

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