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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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– sie würde es so tun, wie ihr Dad es gewollt hätte. Sie würde sich
einfügen. Sie würde die Briefe von Hannah Arendt und Mary McCarthy lesen. Sie
würde, soweit es möglich war, ihren Frieden machen.
    Ohne dass es Pella
bewusst gewesen wäre, hatten ihre Wanderungen sie, zum ersten Mal seit der
Beerdigung, zum Friedhof geführt. Sie nahm allen Mut zusammen, ging durchs Tor
und weiter, bis das Grab ihres Vaters in Sichtweite lag. Näher ging sie nicht
heran, es war schwierig genug, hier zu stehen, vierzig Meter entfernt, und zu
wissen, dass sein flacher Grabstein neben diesem breiten, knorrigen Baum lag,
an den sie sich durch den Nebel der Bestattung hindurch erinnerte.
    Sie würde die kommenden
vier Jahre lang hierbleiben, er aber war fortgegangen von diesem Ort, von allen
Orten, für immer. So ist die Abmachung, dachte sie,
und der Gedanke schien von woandersher zu kommen, eine Heimsuchung. So ist die Abmachung.
    Sie wandte sich vom
Grabstein ab und dem See zu. Hüfthohe Wellen warfen sich gegen die Molen. Ihr
fiel ein, was ihr immer einfiel, wenn sie auf Friedhöfen war: die Anekdote
ihres Vaters über Emerson, der die Leiche seiner Frau Ellen ausgegraben hatte.
Während sie immer noch aufs Wasser hinausblickte, kam ihr das alte Passwort für
seinen E-Mail-Account in Harvard in den Sinn, das sie als Kind ohne sein Wissen
geknackt hatte – Landlosigkeit, einfacher ging es ja
wohl nicht. Eine Idee begann in ihr Gestalt anzunehmen. Ihr Vater war als
Präsident von Westish gestorben, er war in Glanz und Gloria beigesetzt worden,
hatte einen Ehrenplatz erhalten. Das waren sicher keine Kleinigkeiten. Aber es
war auch etwas Falsches daran, dass er hier begraben lag. Jetzt wo er tot war,
konnte er hier sein und zugleich nicht hier sein. Sie, die Melkins und Gibbse dieser Welt, konnten gern glauben, dass er hier war,
während sie die eigentliche Wahrheit kennen würde. Er gehörte dort hinaus, in
das Wasser, das er geliebt hatte.
    Es mochte lächerlich
anmuten, das E-Mail-Passwort eines Menschen als seinen größten Wunsch zu lesen,
aber jetzt, wo ihr der Gedanke gekommen war, wusste sie, dass es richtig war. Strebt wieder nach der Landlosigkeit der aufpeitschenden See. Natürlich würde sie es allein nicht schaffen. Sie machte sich auf den Rückweg,
um in der Dienstwohnung ihres Vaters, in der sie noch immer lebten, auf Mike zu
warten.

79
    —
    Schwartz würde seinen neuen Posten Mitte August antreten,
wenn die Football-Saison begann und das Budget für das neue Schuljahr zur
Verfügung stand. Bis dahin würde er im Bartleby’s arbeiten. Er übernahm so
viele Schichten, wie er konnte, aber während der ruhigen Sommermonate bestand
kein großer Bedarf an Türstehern, und auch wenn er, wie heute Abend, beim
Thekendienst einsprang, ging er am Ende halbbetrunken und mit nicht mehr als
vierzig Dollar in der Tasche nach Hause.
    Als er in der Dienstwohnung ankam, lag Pella zusammengerollt in
einem der ledernen Lehnstühle im ehemaligen Arbeitszimmer ihres Vaters und
schlief. Schwartz nahm sie in die Arme und hob sie hoch – sie war ein paar Kilo
leichter als im April, eine Entwicklung, die er nicht guthieß. Sie murmelte und
wand sich, legte die Arme um seinen Hals, aber wachte nicht auf. Er schob ihr
eine Hand stützend unter den Hintern und zog mit der anderen ihr Buch aus einer
Ritze des Sessels.
    Sie seufzte und rollte
sich auf den Bauch, als er sie auf ihr gemeinsames Bett legte. Er schob den
Saum ihres Tank Tops nach oben, öffnete den Verschluss ihres Büstenhalters,
rieb sanft über die rosige Zwillingsvertiefung, die der Haken auf ihrer Haut
hinterlassen hatte. Die Dinge standen gar nicht so schlecht. In letzter Zeit
schien sie aus der tiefsten Trauerphase herauszufinden, aus dem sommerlangen
Koma, in dessen Verlauf sie geschlafen und gelesen hatte, gelesen und
geschlafen, die Augen von den Beruhigungsmitteln betäubt und trocken. Ein paar
Nächte zuvor hatten sie wieder miteinander geschlafen, und es hatte sich
angefühlt wie das erste Mal.
    Die Nacht war warm, zu
warm für Decken. Schwartz fand ein sauberes Betttuch im Flurschrank und breitete
das Muschelmuster über Pellas schlafende Gestalt. Sie hatten jetzt beide keine
Eltern mehr.
    Er ging in die Küche
und setzte Wasser für Pulverkaffee auf. Er kochte ihn stark, so wie er es
mochte, und fügte einen Fingerbreit Scotch aus President Affenlights Barschrank
hinzu. Er hatte sich langsam und systematisch durch die Scotchsorten
hindurchgearbeitet, angefangen

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