Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
Vom Netzwerk:
möglicherweise gemeinsam gingen. Ohne Schwartz gab es Westish College gar nicht. Ohne Schwartz gab es,
wenn man es recht bedachte, Henry Skrimshander eigentlich kaum.

12
    —
    Wie das Gros seiner Post versah Schwartz auch seine
Uni-Bewerbungen mit folgendem Absender:
    MICHAEL P. SCHWARTZ
    VARSITY ATHLETIC CENTER
    WESTISH COLLEGE
    WESTISH, WI 51851
    Er wohnte auf dem Campus in der Grant Street in einem heruntergekommenen
Drei-Zimmer-Haus, zusammen mit Demetrius Asch, dem Vizekapitän der
Football-Mannschaft und Reservefänger des Baseball-Teams, wo er sich aber kaum
je aufhielt. Tagsüber musste er zu Seminaren und zum Training, außerdem Henrys
Programm überwachen, und abends arbeitete er an seiner Abschlussarbeit – »Die
Stoiker in Amerika« –, hier im obersten Stock des VAC ,
in einem mit dunklem Teppich ausgelegten Konferenzraum, den er vor langer Zeit
zu seinem persönlichen Büro auserkoren hatte. Schwartz hatte in der Abteilung
Hochschulsport keine offizielle Position inne, hatte aber in den letzten vier
Jahren derart viel Zeit und Mühe investiert, dass niemand ihm den Schlüssel zum
Gebäude missgönnte. Bücher mit spröden, teils gebrochenen Rücken und fehlenden Seiten,
per landesweiter Fernleihe geordert, lagen in trunkenen Stapeln rund um den
großen ovalen Tisch herum, umgeben von einem Meer aus farbigen Karteikarten,
Spiralblöcken und leeren Kaffeebechern, die zu Spucknäpfen umfunktioniert
worden waren. Eigentlich hatte er vor zwei Jahren mit dem Kautabak aufgehört,
aber er konnte sich beim Herunterreißen seiner Abschlussarbeit damit so viel
besser konzentrieren, dass er eine Ausnahme machen musste. Mit einer
ordentlichen Portion in der Backe und ein paar zusätzlichen Sudafed-Tabletten
als Glücksbringer war er in der Lage, neun oder zehn Seiten pro Nacht
rauszuhauen. Ritalin war nicht sein Ding.
    Schwartz schätzte diese einsamen, arbeitsamen Stunden. Den ganzen
Tag über, egal wie hart er arbeitete oder was er erreicht hatte, schalt eine
Stimme in seinem Kopf ihn wegen seiner Faulheit, seiner Unfähigkeit, sich zu
konzentrieren. Sein Gegenstand war trivial. Seine Geschichtskenntnisse waren
dürftig. Sein Latein war superschlecht und sein Griechisch noch schlimmer. Wie
konnte er erwarten, Aurel und Epiktet zu verstehen, fragte die Stimme, wenn er
kaum in der Lage war, zwei lateinische Worte aneinanderzureihen? Vos es scelestus
bardus. Nur hier konnte sich Schwartz, weit nach Mitternacht,
während alle anderen schliefen und niemand etwas von ihm erwartete, davon
überzeugen, dass er hart genug arbeitete. Die Stunden fühlten sich an wie
gestohlen und seinem Leben hinzugefügt. Die Stimme verstummte. Selbst die
Knieschmerzen klangen ab.
    Die heutige Nacht
allerdings schien nicht besonders viel Ruhe zu versprechen. Erst Buddhas
Unfall, und jetzt sah Schwartz, als er aus dem Fahrstuhl des VAC stieg
und auf den lediglich durch rote EXIT -Zeichen an den Seiten beleuchteten Flur
hinaustrat, die Ausbeulung in dem Briefumschlag, den er als provisorischen
Briefkasten an seiner Bürotür befestigt hatte. Er legte die Fingerspitzen auf
das sandige gelbe Papier: Ganz klar, es war etwas darin, etwas, das – er zog es
heraus, sein Herz wummerte – das blaue Logo der Yale University trug.
    Seine Offenheit war
etwas, worauf Schwartz stolz war. Wenn sich einer seiner Teamkollegen hängen
ließ, packte er ihn bei den Eiern, und wenn seine Mitstudenten oder Professoren
fadenscheinig oder fehlerhaft argumentierten, wies er sie darauf hin. Nicht
weil er mehr wusste, sondern weil man nur durch die Kollision unvollkommener
Ideen lernen und sich verbessern konnte. Das galt auch für ihn. So ging die
Lehre der alten Griechen. Und so ging auch die Lehre von Coach Liczic, der an
die Scheibe des Buick geklopft hatte.
    Das war zwei Jahre nach
dem Krebstod seiner Mutter gewesen. Er hatte damals allein gelebt. Seinem Vater
war er nie begegnet – seine Eltern waren irgendwann einmal verlobt gewesen,
aber sein Vater hatte getrunken, sein Geld bei Sportwetten verloren und war
abgehauen, bevor Schwartz zur Welt kam. Als einen Monat nach der Beerdigung die
Frau vom Sozialdienst vorbeikam, erzählte er ihr, er sei so gut wie achtzehn.
Ihre Unterlagen besagten eindeutig etwas anderes, aber er war bereits über 1,80 Meter groß, wog mehr als achtzig Kilo und kam ohne große Probleme an
Zigaretten, manchmal sogar an Bier heran. »Kommen Sie«, sagte er, als er im
Rahmen der Wohnungstür stand, die Arme vor der Brust

Weitere Kostenlose Bücher