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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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peitschten.
    Am nächsten Tag ging er
erst zum Unterricht und dann zum Training. Er hatte keine Angst vor der Pistole
gehabt. Aber als Geste hatte sie ihn beeindruckt. Sie schien für etwas zu
stehen, das vielleicht nicht direkt Liebe war, aber zumindest die Möglichkeit
von etwas Vergleichbarem andeutete. Der Trainer hatte ihn nicht einfach
fallenlassen, ihm nicht abgenommen, dass er wusste, was er da eigentlich tat.
Sondern sich stattdessen die Mühe gemacht, ihm direkt ins Gesicht zu sagen, was
er von ihm hielt, und zwar auf die deutlichste Art und Weise. Niemand sonst –
Verwandte, Lehrer, Freunde – hatte zuvor oder seither etwas Vergleichbares für
Schwartz getan. Er schwor sich, es seinerseits für andere zu tun.
    Aber in letzter Zeit
hatte er gelogen, selbst Henry gegenüber. Besonders Henry gegenüber, weil der
ständig nachfragte. Wohlverborgen in den Innenfächern seines Rucksacks steckten
fünf aufgerissene Umschläge, die er bereits von Universitäten erhalten hatte.
In jedem steckte ein Brief, der mit einem schrecklichen Satz begann: Leider müssen wir Ihnen mitteilen … Zum jetzigen Zeitpunkt
ist es uns nicht möglich … Bedauerlicherweise ist die Zahl der Bewerber
bereits …
    Schwartz knipste das
Flurlicht an und hielt den Umschlag hoch, aber er war aus hochwertigem,
schwerem Papier, sodass er nichts erkennen konnte. Möglicherweise verhieß ein
hochwertiger Umschlag gute Nachrichten, und sie verschickten dünne,
durchscheinende an die Verlierer, die nicht reingekommen waren. Er wog ihn auf
der Handfläche, auch wenn er schon oft gehört hatte, dass der Umschlagtest
(dick oder dünn) meistens Schwachsinn war. Er klopfte sich damit gegen die
Handfläche, um zu schauen, ob er das Hin- und Herrutschen einer
Antwortpostkarte spüren konnte – Ich, Mike Schwartz, nehme
Ihr freundliches Angebot gern an. Unmöglich zu sagen.
    In diesem Umschlag
steckte seine letzte Hoffnung. Wollte man eine banale Analogie finden, stand es
0:5, und das hier
war, mit zwei Outs im neunten Inning, die allerletzte Chance, zumindest noch
die eigene Ehre zu retten. Yale hatte das landesweit härteste
Zulassungsverfahren, aber die anderen Universitäten waren beinahe ebenso
wählerisch, und die Betreuerin seiner Abschlussarbeit war eine Ehren-Alumna.
Schwartz war sonst überhaupt nicht schicksalsgläubig, aber vielleicht war das
Schicksal ja diesmal auf seiner Seite. Vielleicht waren die fünf Absagen bloß
ein Trick gewesen, um es spannender zu machen.
    Jedenfalls war es
absurd, hier herumzustehen und sich den Kopf zu zerbrechen. Die Entscheidung
war vor Wochen von einer Reihe von Dekanen gefällt worden, da war nichts mehr
zu machen. Mach den Umschlag auf, du Penner, dachte
Schwartz. Guck rein, reagier darauf und mach dich wieder an
die Arbeit. Er schob einen Fingernagel seitlich unter die Klebelasche,
aber das war alles, wozu er sich durchringen konnte. Er setzte sich rücklings
an die Wand und ließ den Umschlag zwischen die Beine fallen. Die Knorpel in
seinen Knien hingen in Fetzen, das Ergebnis zu vieler Stunden hinter der Home
Plate, zu vielen Kniebeugen unter zu viel Gewicht, die Stange über seinen
Schultern gebogen wie ein Komma. Seine Rückenmuskulatur krampfte und pulsierte
in schmerzhaften, unvorhersehbaren Intervallen. Er öffnete den Rucksack,
fischte nach dem Fläschchen mit dem Hydrocodon und warf sich drei in den Mund.
Während des Schreibprozesses versuchte er darauf zu verzichten, aber heute
Abend gab es einen besonderen Anlass. Was er brauchte, war ein Bad im
Whirlpool, ein ordentliches Einweichen würde ihn beruhigen und ihm Kraft geben.
Er stieg wieder in den Fahrstuhl und drückte auf B 2, den Brief zwischen die Zähne geklemmt.
    Im zweiten Stock gab es
einen nagelneuen Whirlpool, für den Schwartz die Gelder eingeworben hatte, aber
er mochte diesen hier lieber, ein verbeultes eisernes Ungetüm im zweiten
Untergeschoss neben den Umkleideräumen. Hier unten war es stockfinster, aber
seine Füße trugen ihn direkt zu seinem Spind. Als er das Rädchen des
Zahlenschlosses drehte, rechts, links, rechts, spürte er jedes Mal, wenn er bei
der richtigen Zahl ankam, eine leichte Kerbung, wie die Vertiefung im Nacken
einer Frau. Er zog ein Handtuch aus dem obersten Fach – es roch beinahe sauber
– und ließ sich auf der abgesplitterten Bank hinter ihm nieder. Den Brief legte
er rechts neben sich. Die Kaltwasserleitungen tropften, aus den
Warmwasserleitungen roch es nach versengtem Schmutz. Wie ein alter

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