Kunst des Feldspiels
offen.«
Der Waldarbeiter stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich hab dich noch nie
gesehen«, sagte er müde, starrte nach wie vor geradeaus. »Bist du ein
Neuzugang?«
»Nein. Obwohl,
eigentlich könnte man das irgendwie … Ich bin nur zu Besuch«, schloss Pella.
»Was ist mit dir?«
»Mike Schwartz.« Quer
zu seinem Körper streckte er ihr die rechte Hand hin, während sein Kopf dem
Parkplatz, der steinernen Schale des Football-Stadions und der Dunkelheit des
Sees dahinter zugewandt blieb.
»Pella«, sagte sie, den
Nachnamen ließ sie weg. Ein angenehmes Gefühl von Anonymität hatte sie erfüllt,
das dem herumwirbelnden Schnee und Mike Schwartz’ offenkundiger
Gleichgültigkeit ihrer Anwesenheit gegenüber geschuldet war, und sie
befürchtete, dass der Name ihres Vaters es möglicherweise wieder zerstreuen
könnte.
»Wie die Stadt«, sagte
er.
»Jap.«
»Im Jahr
hundertachtundsechzig vor Christus von den Römern erobert.«
»Da hat aber jemand
seine Hausaufgaben gemacht.«
Wie eine Erscheinung –
bei diesem Wetter, in diesem altersgrauen Licht vor Sonnenaufgang sah alles aus
wie eine Erscheinung – näherte sich ein älterer Herr auf einem Fahrrad, stieg
elegant ab und schloss es an einen der skelettartigen Ständer am Fuß der
Treppe. Sein flaumiges Haar war schneegesprenkelt. Er löste eine kleine Tasche
vom Lenker und trottete die Stufen zum VAC hinauf, nickte im Vorbeigehen. An
seinem freundlich-neutralen Gesichtsausdruck gemessen, konnte man denken, Mike
Schwartz säße jeden Morgen mit seinem Handtuch auf den Stufen und begrüßte die
Frühsportler. Was, soweit Pella wusste, durchaus der Fall sein konnte. »Ist dir
nicht kalt?«
»Kälte ist eine reine
Kopfsache.«
»Tja, mein Kopf ist
jedenfalls eisig.« Pella stand auf und wischte sich den Schnee von den
Oberschenkeln. »Nett, dich kennengelernt zu haben, Mike.«
In diesem Moment drehte
er schließlich den Kopf und schaute sie zum ersten Mal an. Pella sah, dass
seine Augen eine wunderschöne, lichtverströmende Farbe hatten, wie heller
Bernstein, in den prähistorische Insekten eingeschlossen sind. Aus ihnen sprach
eine verletzte Wirrheit, so als hätte sie versprochen, den ganzen Tag hier zu
sitzen, und nun plötzlich ihr Wort gebrochen. Einen Moment lang kam es ihr vor,
als schaute man ihr ungewöhnlich tief in die Seele. Dann huschte sein Blick
kurz über ihre Brüste. Pella verschränkte die Arme. Sie ärgerte sich über
diesen Blick, der den Moment ruiniert hatte; ärgerte sich doppelt, dass sie den
unvorteilhaft plättenden Badeanzug unter ihrem Kapuzenpullover trug.
»Ich bin nicht
reingekommen«, sagte er mit schwerer Stimme.
»Wo reingekommen?«
Er zeigte zwischen die
Flip-Flops an seinen Füßen, wo der Schnee einen Umschlag unter sich begrub.
»Jurastudium.«
»Deshalb sitzt du hier
im Schneesturm? Weil du nicht zum Jurastudium zugelassen wurdest?«
»Ja.«
»Dein Lendenschurz ist
ein bisschen hochgerutscht.«
»Entschuldige.« Er zog
das Handtuch zurecht. »Du bist die einzige Person, der ich davon erzählt habe.
Im Vertrauen. Du solltest mir auf die Schulter klopfen und sagen, Ist ja gut. «
»Entschuldige.« Sie klopfte
ihm auf die Schulter. »Ist ja gut. Aber wieso willst du überhaupt Jura
studieren? Jurastudenten sind das Ödeste vom Öden.«
»Ich wollte eigentlich
Gouverneur werden.«
»Von Wisconsin?«
»Illinois. Ich bin aus
Chicago.«
»Bist du nicht
jüdisch?«
»Derzeit gibt es drei
jüdische Gouverneure«, sagte er ernst. »Aber ja, bin ich.«
Seine Stimme hatte,
während er von seinen hochfliegenden Plänen erzählte, nichts Ironisches.
Tatsächlich schien sie nicht einmal einzuräumen, dass es so etwas wie Ironie
überhaupt gab.
»Na ja«, sagte sie,
»das nächste Jahr kommt bestimmt.«
»Ja.«
Pella konnte nicht
aufhören zu zittern – nicht einmal Socken hatte sie aus San Francisco
mitgebracht –, aber aus irgendeinem Grund wollte sie nicht gehen. Unterhalb der
Wolken wurde der Himmel heller, und mittlerweile hatte der Schnee die wirren
Brauntöne des beginnenden Frühlings unter sich begraben. Die Ellbogen auf die
Knie gestützt, sah Mike niedergeschlagen auf seine gefalteten Hände hinab.
»Und, wie gefällt’s dir
in Westish?«, fragte sie.
»Ich liebe es«, sagte
er. »Ich bin hier zu Hause.«
Er war derart
offenherzig, derart ehrlich, derart physisch präsent – diese Mischung war auf
eine unbändige Art liebenswürdig. Sie setzte sich wieder. Sie hatte das Gefühl,
ihrerseits ein
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