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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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circa zwölf Stunden in Gedanken gewesen war, hatte etwas Schönes und
zugleich Beängstigendes. Sie wünschte, sie wüsste, wann genau sie eingeschlafen
war, um ihre Leistung beziffern, ihre Reise quantifizieren zu können: So lange habe ich geschlafen!
    Mike war nirgends zu entdecken, und sie konnte sich auch nicht an
sein Weggehen erinnern. Schlafmittel hatte sie nicht genommen – lediglich eine
halbe Flasche Wein, kaum mehr als die von Ärzten empfohlene Menge. Sie ging ins
Bad, das erstaunlich sauber war, jedenfalls im Vergleich zum Rest des Hauses.
Sie pinkelte und öffnete dann, nur so zum Spaß, den Schrank über dem
Waschbecken: Bis auf einen Deostick, eine Fußpilzsalbe und eine Tube Zahnpasta
war er leer. Erstaunliche Kreaturen, diese Männer. Sie zog den Duschvorhang zur
Seite und entdeckte in der eleganten alten Wanne mit Klauenfüßen ein
ramponiertes Bierfässchen, dessen Metalldeckel mit Schimmel überzogen war.
Wenigstens hatten sie einen Duschvorhang.
    Es wäre schön gewesen,
wenn Mike eine Nachricht hinterlassen hätte – »Bin bald
zurück!« –, aber im Schlafzimmer hatte sie keine entdeckt, und in der
Küche war ebenfalls keine. Na ja. Angesichts der Tatsache, wie süß es von ihm
gewesen war, sie, eine nahezu Fremde, in der exakten Mitte seines kleines Betts
einfach das Bewusstsein verlieren zu lassen, sodass er seinen riesigen Körper
an die Wand hatte pressen müssen, konnte sie mit dem Versäumnis leben.
    Auf dem Küchentresen
stand, hinter einem Durcheinander selbstklebender Notizzettel und
aufgeschlagener, auf dem Gesicht liegender Bücher, eine Kaffeemaschine. Sie
beschloss, sich eine Tasse zu kochen und hier zu trinken, bevor sie sich auf
den Rückweg machte. Womöglich war ihr Vater sauer, sie hatte ihm nicht gesagt,
dass sie nicht nach Hause kommen würde.
    In der Speisekammer,
zwischen Vorratspackungen Cornflakes und riesigen Containern von etwas, das
sich SuperBoost 9000 nannte, entdeckte sie Kaffeefilter und
eine Fünf-Pfund-Dose mit gewöhnlichem Kaffee. Alles en gros :
das war offensichtlich Mike Schwartz’ Philosophie. Die Affenlights hingegen
waren Kaffeesnobs. Sie zog den Plastikdeckel ab und schnüffelte an dem Kaffee,
wenn das der richtige Ausdruck dafür war – er hatte die blassbraune Farbe von
Rindenmulch, roch aber bei weitem nicht so aromatisch. Würde schon gehen.
    Sie kippte den alten
Kaffeesatz in die Spüle, wo er sich im wolkigen Wasser auflöste und in Kaskaden
an den Ränder des aufgestapelten Geschirrs hinablief. So weit, so gut. Als sie
jedoch versuchte, die Glaskanne auszuspülen und neu zu befüllen, bekam sie den
Ausguss nicht unter den Wasserhahn. Sie versuchte den Geschirrstapel zu
verschieben, aber die einzelnen Teile waren zu einer bedenklichen
Jenga-Pyramide aufgetürmt, die Gläser zuunterst, und sie hatte Angst, die ganze
wackelige Konstruktion würde mit einem ohrenbetäubenden Geschepper in sich
zusammenfallen.
    Im Grund half bloß
eins: abwaschen. Und tatsächlich verspürte sie ein starkes Verlangen danach,
das Geschirr abzuwaschen. Sie begann es auf die Arbeitsplatte zu räumen, damit
sie Wasser ins Becken lassen konnte. Die Teile unten waren ekelhaft, die Teller
mit aufgeweichten Essenskrusten überzogen, in den Gläsern schäumte eine weiße
Bakterienbrühe, aber das verstärkte bloß ihr Verlangen, eine derartige Sauerei
zu überwindden. Vielleicht war es reine Zeitschinderei, weil sie nicht ihrem
Vater begegnen wollte, nachdem sie die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen
war.
    Als sie Spülmittel in
den Strahl heißen Wassers gab, kamen ihr Bedenken: Was würde Mike wohl dazu
sagen? Für jemanden abzuwaschen war eine nette Geste, aber man konnte es
genauso gut als Ermahnung auffassen: »Wenn in diesem Saustall sonst niemand
saubermacht, dann mache ich es eben!« Diese Lesart war im Grunde kaum ganz zu
vermeiden. Sie drehte das Wasser ab. Auch wenn Mike und sie bereits seit
Monaten zusammen gewesen wären, hätte man grundloses Geschirrspülen als
eigenartig empfinden können. Als aufdringlich. Anmaßend. Es sei denn, sie hätte
das Geschirr selbst dreckig gemacht: Das wäre etwas anderes. Dann sollte das Geschirr sogar gespült werden, und das
Ausbleiben würde zu wieder eigenen Problemen führen.
    Aber das Geschirr
gehörte ihr nicht, und Mike und sie waren nicht zusammen. Sie hatten sich noch
nicht einmal geküsst. Deshalb konnte das Abspülen bloß als eigenartig,
neurotisch, übergriffig erscheinen. Mikes Mitbewohner – laut

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