Kunst des Feldspiels
David aus Seattle zurück. Wie lange würde
er wohl brauchen, um herauszufinden, wo sie war? Nicht lange – sie hatte weder
Freunde noch andere Verwandte, bloß diese beiden riesenhaft aufragenden
Figuren, ihren Vater und David, zwischen denen sie hin- und hergeschleudert
wurde. Davids erster Gedanke würde sein, dass sie mit jemandem in ihrem Alter
durchgebrannt war, wie er es immer erwartet hatte, und er würde das Loft nach
Hinweisen durchwühlen. Aber es gab keine. Wenn er zum Hörer griff, um sie zu
finden, blieb nur eine einzige Nummer.
Sie hörte, wie ihr
Vater im Flur am Telefon schäkerte. Sie wettete zehn zu eins, dass diese
Genevieve, wenn sie aufkreuzte, um einiges heißer sein würde als die
durchschnittliche Mutter eines Einundzwanzigjährigen. Pella verstand nicht so
recht, warum man sie zu etwas mitschleppte, was stark nach Pärchenabend aussah,
aber sie wollte ihrem Vater den Gefallen tun, ihm zeigen, dass sie wieder
Freunde sein konnten. Außerdem hatte er ihr natürlich das Kleid geschenkt.
Affenlight, der jetzt
noch fahriger wirkte als zuvor, streckte seinen silbergrauen Kopf hinter Pellas
Türpfosten hervor. »Planänderung!«, sagte er. »Mach uns doch mal ein paar
Drinks!« Der Kopf verschwand wieder.
Der Kopf erschien
erneut. »Drinks!«, bekräftigte er.
Pella glättete ihr
Kleid, gestattete sich einen letzten wohlwollenden Blick in den Spiegel und
ging ins Arbeitszimmer, um zwei Scotch einzuschenken, den einen mit Wasser, den
anderen ohne. Ersteren trug sie in die Küche, wo ihr Vater in einem manischen
Stakkato mit dem Messer Schnittlauch zerkleinerte. »Was ist los?«, fragte sie.
»Wann hast du denn den Schlips gewechselt?«
Affenlight sah auf
seinen babyblauen Schlips hinab. »Gefällt er dir nicht?«, sagte er mit
kindlicher Enttäuschung.
»Er gefällt mir«, sagte
Pella. »Aber ich finde, du bist ziemlich merkwürdig.«
Affenlight nickte
geistesabwesend und fuhr fort, mit einer Hand den Schnittlauch zu zerhacken.
Mit der anderen schnappte er sich den Scotch und kippte sich zwei Drittel des
gut gefüllten Glases auf einmal hinter die Binde. Eine glänzende Matrix
stecknadelkopfartiger Schweißperlen hob sich gegen seine errötete,
mahagonifarbene Stirn ab. »Was ist los?«, fragte Pella.
»Owen hat das Trowell
bekommen.«
»Das was?«
»Das Trowell. Das ist
ein Stipendium. Er wird kommendes Jahr in Tokio studieren.«
»Na, das hört sich doch
toll an. Oder?«
»Fantastisch.«
Affenlight griff sich eine Tomate aus der Holzschale neben der Spüle und
halbierte sie mit einem kraftvollen Hieb. »Es haben sich schon viele unserer
Studenten beworben«, sagte er, während er die Tomate in einem irrwitzigen Tempo
zu Brei verarbeitete, »aber noch nie hat es niemand bekommen. Es ist ein sehr
angesehenes Stipendium. Stell dir das mal vor – Owen in Tokio!«
»Was genau machst du
da?« Pella wies auf das rote Püree, das auf dem Schneidebrett leuchtete wie ein
Blumenbeet.
»Hors d’œuvres.«
»Ich dachte, wir gehen
abendessen.«
»Owen fühlt sich nicht
gut genug. Der arme Kerl, er hat eine Menge durchgemacht in den letzten Tagen.
Genevieve meinte, im Restaurant könnte es ihm zu unruhig sein. Sie schlug vor,
dass sie und ich zu zweit essen sollten, aber das fand ich unpassend, jetzt, wo
wir Owens gute Nachrichten zu feiern haben. Deshalb habe ich die beiden hierher
eingeladen.«
»Zu Hors d’œuvres?«
»Genau.« Affenlight
leerte sein Glas und sank dann auf einen der Barhocker, die die Insel des
freistehenden Hackblocks in der kleinen Küche flankierten. Mit traurigen,
fragenden Augen sah er sich im Raum um. Einen Moment lang wirkte er schrecklich
alt – zehn Jahre älter, als er tatsächlich war, und zwanzig Jahre älter, als er
sonst wirkte. »Tokio«, murmelte er. Pella nahm ihm das Messer aus der Hand und
legte es auf den Küchentresen. Sie warf einen Blick in den Kühlschrank:
Limetten, Butter und kecke weiße Tüten mit Kaffeebohnen. »Ich gehe mal zum
Speisesaal«, sagte sie. »Vielleicht können die uns etwas zaubern.«
25
—
Im Speisesaal hing samstagabendliche Schwermut in der
Luft, und man hatte den Eindruck, dass die wilden Orgien, die sonst überall auf
dem Campus stattfanden, hier ein trauriges Vakuum hatten entstehen lassen. Es
wurde kein Essen mehr ausgegeben, und auf den kotzgrünen Stühlen saß lediglich
eine Handvoll Versprengte, die auf ihre Bücher starrten und bedächtig ihre
Teller leergabelten. Von der hinteren Wand blickte finster eine
Weitere Kostenlose Bücher