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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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der langen Rückfahrt nach Westish, döste er, den Kopf
an der vibrierenden Buswand, ein Sweatshirt gegen die Kälte dazwischen. Seine
Teamkameraden flitzten von Sitz zu Sitz, schmiedeten fröhlich Pläne, waren nach
einem erfolgreichen Tag bereit für eine erfolgreiche Nacht, die viel versprach,
da morgen ausnahmsweise frei war.
    »Melanie Quong«, sagte
jemand.
    »Kim Enderby.«
    »Hannah Szailes.«
    Die Namen waren alles
zugleich: Wünsche, Gebete, Gedichte. Henrys rechter Arm roch nach
schmerzlindernder Salbe. Eine Bildfolge erschien plötzlich in seinem Kopf und
wiederholte sich in einer Frequenz, die gleichzeitig schwindelerregend und
einschläfernd war – ein weißer Ball, der von der Bahn abkam und Owen am
Jochbein traf, und dann Owens weiße erschrockene Augen, die Henry anstarrten,
bevor er auf dem Boden vor der Spielerbank zusammensackte. Henry rechnete nach.
Im Verlauf von fünfzehn Innings hatte er die fünf schlechtesten Würfe seiner
College-Laufbahn gemacht – den, der Owen getroffen hatte, die zwei Fehlwürfe im
ersten Spiel heute und die zwei unbeholfenen Bälle während des zweiten. Alle
fünf waren aus nahezu identischen Standardsituationen heraus entstanden: hart
geschlagene Bälle, die mehr oder minder direkt auf ihn zukamen, was ihm
eigentlich genügend Zeit hätte geben müssen, seinen Fuß in Stellung zu bringen
und Ricks Handschuh zu orten, bevor er warf. Überschaubare Spielsituationen
zudem, in denen er seit der Pubertät nicht mehr gepatzt hatte. Ganz
offensichtlich stimmte etwas mit seinen Bewegungsabläufen nicht. Morgen würde
er ausschlafen und dann einiges an Lernstoff nachholen, wozu er seit Owens
Unfall nicht gekommen war. Am Montag beim Training würde er dann an seinem
Passspiel feilen. Vermutlich war es, wie die meisten Dinge im Leben, eine Frage
der Beinarbeit.

24
    —
    Pella beugte sich näher an den Kommodenspiegel heran und
stützte die Ellbogen auf, um den silbernen Ohrring – ihr Vater hatte ihn ihr am
Nachmittag gekauft – durch die schmale Öffnung zu stoßen, wo früher ihr
Piercing gewesen war. Sie hatte seit Monaten keine Ohrringe mehr getragen und
auch aus San Francisco keine mitgebracht. Ein Tröpfchen helles Blut bildete sich
und versickerte wieder. Sie fand sich beinahe schön in ihrem ärmellosen
fliederfarbenen Kleid, das einen runden Ausschnitt hatte und schlicht und
gerade fiel. Sie hatte es am Nachmittag in einem kleinen Laden in Door County
bewundert, und ihr Vater hatte angeboten, es zu bezahlen, eine, wie sie fand,
liebenswerte Geste, die nur durch die Scham über ihre vollständige
Zahlungsunfähigkeit einen schalen Beigeschmack bekam. Sie musste sich wirklich
überlegen, wie sie jetzt allein zurechtkommen sollte. Trotz alledem ging es ihr
ziemlich gut. Die großen Tränensäcke unter ihren Augen schrumpften allmählich.
Ihr frisch gewaschenes Haar glänzte im Licht der Lampen und fühlte sich weich
im Nacken an.
    Das Gesicht ihres Vaters erschien neben ihr im Spiegel, so als würden
sie für ein Familienfoto posieren, nur dass Affenlight Senior einen leicht
fahrigen Eindruck machte. »Kann ich diesen Schlips anziehen?«, fragte er und
nestelte an dem flachen Kegel seines halben Windsorknotens herum. Der vertraute
Geruch nach angebranntem Apfelgelee seines Herrendufts erfüllte den Raum.
    »Na klar«, sagte Pella.
»Deine Krawatten sind alle schön.«
    Affenlight seufzte und
zupfte weiter an dem bereits perfekt sitzenden Knoten herum. »Aber vielleicht
gibt es noch eine schönere. Hier« – er hob die Krawatte an einem gekrümmten
Finger in die Höhe, sodass die silber-weinroten Streifen neben seinem Gesicht
hingen – »schau mal, wie die Farbkombination die Äderchen auf meinen Wangen
hervorhebt! Ich sehe aus wie ein abgewrackter Alkoholiker.«
    »O nein, das tust du
nicht.« Pella zwang den zweiten Ohrstecker hinein und drehte sich, um ihren
Vater direkt zu begutachten. »Du hast die Haut eines Zehnjährigen. Von deinem
Köpfchen einmal ganz abgesehen. Seit wann bist du denn so eitel?«
    Affenlight deutete einen
Schmollmund an. »Ich bin Repräsentant der Universität. Es gehört zu meinen
Aufgaben, bei Studiengebühren zahlenden Eltern einen guten Eindruck zu
hinterlassen.«
    »Mhm. Besonders bei
alleinstehenden weiblichen Elternteilen.«
    Bevor er etwas sagen
konnte, trillerte sein Handy. Er zog es aus der Hosentasche und machte zwei
Schritte hinaus auf den Flur. »Genevieve, hallo!«
    Pella wandte sich
wieder dem Spiegel zu. Am Abend kam

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