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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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er
gefällt allen möglichen Leuten«, sagte Genevieve. »Er ist der Dichter der
Demokratie.«
    Owens unverletzter
Mundwinkel verzog sich zu einem Lächeln. »Nennt man das neuerdings so?«
    Affenlight brauchte
dringender eine Zigarette als jemals zu den Zeiten, in denen er eine halbe
Schachtel täglich geraucht hatte. Seit wann war das Rauchen in Krankenhäusern
nun schon verboten? Und was würde passieren, wenn man es trotzdem tat? Er
wollte, dass Owen ihn durchschaute, dann aber auch wieder nicht – wie bei dem
schmutzigen Bild auf Owens Laptop ließ die Möglichkeit, durchschaut zu werden,
alles realer, spannender, furchterregender erscheinen –, aber was er ganz
sicher nicht wollte, war, dass es in Anwesenheit von Owens Mutter geschah.
Affenlight war froh, dass Genevieve das mit dem Dichter der Demokratie gesagt
hatte. Sonst hätte er es gesagt, oder etwas in der Art, und wäre sich wie ein
Idiot vorgekommen.
    »Die ganze Highschool
hindurch hast du Whitman geliebt«, sagte Genevieve. »Wie hieß noch das mit dem
Baum? Der Eiche?« Sie schlug das Buch auf und begann das Inhaltsverzeichnis zu
durchsuchen.
    »Steck es bitte weg«,
sagte Owen, als wäre es eine schmutzige Windel. Er hustete und begann, indem er
die blutverkrustete, medikamentös gelähmte Seite so weit wie möglich schonte,
bedächtig das Gedicht zu deklamieren: »Ich sah in Louisiana eine Lebenseiche
wachsen, / Ganz allein stand sie, und das Moos hing von den Zweigen …«
    Beim Klang von Owens
Stimme, die die vertrauten Worte rezitierte, wurde Affenlights Herz ganz ruhig.
Man verbrachte so viel Lebenszeit mit Lesen – da war es doch sinnvoll, es nicht
allein zu tun. Und gerade dieses Gedicht hatte er schon immer geliebt, am
Erzähler just das bewundert, was der Erzähler an der Eiche bewunderte – tiefste
Unabhängigkeit –, auch wenn er durchgängig auf der Abhängigkeit von seinen
Freunden beharrte.
    Nach der Hälfte brach
Owen ab. »Puh«, sagte er. »Mein Schädel.«
    Affenlight konnte nicht
anders. Er räusperte sich und setzte dort an, wo Owen aufgehört hatte,
stolperte bloß leicht bei den Worten »männliche Liebe«. »Dennoch«, schloss er,
wobei er sich nicht daran hindern konnte, deklamatorisch in einen etwas höheren
Gang zu schalten, »und obwohl die Lebenseiche dort in Louisiana einsam auf
weiter Ebene schimmert / Und ihr Leben lang freudige Blätter hervorbringt ohne
Freund, ohne nahen Geliebten, / Weiß ich sehr wohl, ich könnte es nicht.«
    »Bravo!«, rief Genevieve.
Sie reichte Affenlight das Buch.
    Affenlight lächelte
betreten. Er fühlte sich zugleich gut und enttarnt. Kurz dachte er über die
verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks rot werden nach: Die Wangen wurden rot, wenn man glücklich und beschwingt war, man wurde
rot vor Wut, wenn man beleidigt wurde, und wenn die Ampel schon rot geworden
war und man noch auf der Kreuzung stand, wurde man überfahren.
    Er schaute zu Owen, um zu sehen, wie ihm seine
Rezitation gefallen hatte, aber Owen hatte die Augen geschlossen, nicht weil er
schläfrig war, sondern eher wie Sherlock Holmes in der Oper, die Ohren gespitzt
und mit einem sanften Lächeln im Gesicht.
    »Nun denn«, sagte
Affenlight. »Ich glaube, ich gehe jetzt besser. Pella und ich sehen Sie dann
heute Abend.«
    »Was für ein goldiger
Name.« Genevieve ergriff zum Abschied herzlich Affenlights Hände. »Wer weiß,
O.? Vielleicht entpuppt sich diese Pella Affenlight ja als die ideale Frau für
dich. Einen ziemlich schneidigen Vater hat sie jedenfalls.«
    »Bring mich nicht zum Lachen«,
sagte Owen, die Augen weiterhin geschlossen. »Das tut weh.«

23
    —
    Es waren keine zweihundert Leute auf der Baseballanlage
von Opentoe, Spieler und Scouts eingeschlossen, die aber machten jede Menge
Krach. Stampfend standen sie auf den Tribünen, und statt abzuebben, wurde das
Gejohle lauter und lauter, und er begriff, dass sie nicht aufhören würden.
Vorsichtig hob er den Kopf und sah zu Schwartzy hinüber, der mit erschöpfter
und wütender, aber nicht unglücklicher Miene am Eingang der überdachten Spielerbank
stand und in seine großen Schwartz-Pranken klatschte. Henry blinzelte ein paar
Mal heftig. Spannenergie ist gleich ½ D mal s zum Quadrat, dachte er.
Kinetische Energie ist gleich m mal g mal h.
    Schwartz tippte sich an den Schirm seiner Kappe. Henry sah zu ihm
hinüber, ohne zu begreifen. Schwartz wiederholte die Geste, und dieses Mal
verstand Henry. Er hob seinerseits die Hand und tippte sich an den

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