Kunst des Feldspiels
Minuten vergingen. Er kam nicht zurück.
Pella war ziemlich sicher, dass er sie einfach hatte stehen lassen, doch sie
hatte keinen Plan B, also blieb sie einfach, wo sie war, und sah zu, wie der
südamerikanische Tellerwäscher mit seinem Powerschlauch herumstrahlte, das
Gesicht dunkelrot vor Anstrengung.
Sie hatte die
Vorspeisen längst aufgegeben, stand aber immer noch mit ausdruckslosem Gesicht
da, als Spirodocus zurückkam, eine prall gefüllte Tüte in den Stummelarmen.
Zuoberst lag ein ungebackenes Brot, das nach Zimt duftete und mit Korinthen
oder Rosinen garniert war. »Geben Sie das in Ofen, wenn Sie zu Hause sind«,
sagte er. »Und servieren es zum Kaffee.«
»Wow«, sagte Pella.
»Wow. Haben Sie das jetzt gerade gemacht?«
»Darüber spricht ein
Koch nie.« Küchenchef Spirodocus’ Gesicht wurde zum ersten Mal freundlich, es
schien nachzugeben und sich zu glätten. Er streckte den Arm aus und klopfte
Pella unbeholfen auf die Schulter. »Sagen Sie Ihrem Vater, ich habe mein Bestes
gegeben. Hatte keine Zeit, war nicht vorbereitet, aber hab mein Bestes gegeben.
Okay?«
»Okay«, sagte Pella.
»Haben Sie tausend Dank, Küchenchef Spirodocus. Mein Vater wird Ihnen sehr
dankbar sein.«
Sie wandte sich zum
Gehen, stellte aber fest, dass sie irgendwie an dem in Marineblau und Altweiß
gefliesten Boden festgewachsen war. Das kaum hörbare Ich-will-Stimmchen in
ihrer Brust rief etwas, verhalten und zusammenhanglos. Sie hielt inne und
versuchte ihm zu lauschen.
Nach einer Weile sah
Küchenchef Spirodocus von seinem Kartoffelbrei auf. »Noch etwas?«
»Ähm …« Pella trat von
einen Fuß auf den anderen. »Ich hab mich gefragt, na ja, ob Sie gerade Leute in
der Küche brauchen. Zum Spülen und so weiter.«
»Stelle ich Leute ein
zum Spülen?«, wiederholte Küchenchef Spirodocus ungläubig und schüttelte
betrübt den Kopf. »Ja.«
»Und würden Sie auch
jetzt gerade jemanden einstellen?«
»Stelle ich immer ein.«
»Haben Sie ein
Bewerbungsformular?«
Er zog die Augenbrauen
hoch. »Für wen?«
»Für mich.«
Spirodocus’ Äuglein
musterten ihre flachen weißen Sandalen, ihre blassen Beine, das schicke Kleid
und was er sonst noch entdeckte. Pella spürte, wie sein Blick hängen blieb,
nicht auf ihren Brüsten, wie männliche Blicke das häufig zu tun pflegten,
sondern auf ihrem Walfisch-Tattoo. »Sie haben schon mal in Küche gearbeitet?«,
fragte er.
»Nein.« Das Wort
verließ ihren Mund und hing wie tot in der Luft. »Ich kann sehr hart arbeiten«,
fügte sie rasch hinzu und fragte sich, ob nur ein Fünkchen Wahrheit darin lag.
»In der
Frühstücksschicht ist noch was frei«, sagte Küchenchef Spirodocus. »Fängt um
halb sechs an. Montag bis Freitag.«
»Halb sechs?«, sagte
Pella.
Spirodocus nickte
unendlich traurig. »Ich verstehe. Ist viel zu früh.«
»Es ist früh«,
bestätigte Pella. »Also dann bis Montag.«
26
—
Affenlight, der am Küchenfenster auf Posten blieb, während
er seine nasse, rote Tomatenschweinerei aufwischte, sah, wie Genevieve und Owen
aus der Phumber Hall kamen und händchenhaltend wie ein altes Ehepaar den
perspektivisch verkürzten frühlingsfeuchten Rasenstreifen überquerten, der
Phumber und Scull voneinander trennte.
Irrigerweise durchzuckte es ihn vor Eifersucht, ähnlich wie in dem
Moment, als er herausgefunden hatte, dass Henry Skrimshander Owens Mitbewohner
war. Das musste man sich einmal vorstellen: eifersüchtig auf die Mutter des
Jungen, weil sie seine Hand hielt. Im Flurspiegel überprüfte er Schlips und
Manschetten und eilte noch vor dem Klingeln die Treppe hinunter.
Genevieve ließ Owen
los, drückte Affenlights Hände und küsste ihn auf die Wangen. »Guert! Kannst du
das glauben?«
»Kaum«, sagte
Affenlight.
»Einerseits denke ich,
Schatz, was willst du denn in Japan ? Willst du deine
arme Mutter wirklich ganz verlassen? Andererseits bin ich so stolz. Und streng
genommen ist Tokio ja auch nicht viel weiter von San José entfernt als
Westish.«
»Und es ist wärmer
dort«, stimmte Affenlight ein. »Viel angenehmer, wenn man einmal hinfahren
möchte.«
»Nun mal keine falsche
Bescheidenheit«, sagte Genevieve. »Ihr Campus hier ist so malerisch, so … neunzehntes Jahrhundert. Es ist mir richtig peinlich, dass O. erst im
Krankenhaus landen muss, damit ich es endlich schaffe, ihn zu besuchen.« Sie
fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das so kurz geschnitten war, dass es
eigentlich hätte männlich wirken müssen, stattdessen aber auf
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