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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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zweite Mal
innerhalb weniger Wochen.
    Das war eine schlimme
Sache: sich von Henry zu entfernen, den Skrimmer abzusägen, während er
gleichzeitig so tat, als hätte sich nichts verändert – und das alles, wenn er
wirklich ehrlich war, weil er mit Henrys Erfolg nicht zurechtkam.
    Es ging nicht, Henry
konnte er das nicht antun. Man musste sich bloß anschauen, was bereits jetzt
los war. Vielleicht war es vermessen von Schwartz, sich selbst dafür
verantwortlich zu machen, aber das spielte letztlich keine Rolle. Er würde
alles tun, um Henry wieder ins Lot zu bringen. Selbst wenn das bedeutete, um
vier Uhr morgens ans Telefon zu gehen, wenn er mit Pella im Bett lag. Selbst
wenn es bedeutete, während der kommenden zwei Monate über nichts und niemanden
nachzudenken als über Henry und darüber, wie man ihm helfen konnte. Pella
konnte warten. Sein Leben konnte warten. Henry brauchte ihn, und die Harpooners
brauchten Henry. Das war alles, was für ihn zählte.

29
    —
    »Heute«, sagte Professor Eglantine mit dunklem Timbre, die
vor der Tafel stand, die Füße ausgestellt wie eine Ballerina, und ihre
knochigen, mit Reifen behängten Arme in einer Abfolge brezelartiger Formationen
verknotete, während sie auf den Kassettenrekorder aus dem Medienfundus starrte,
»möchte ich Sie, vom üblichen Prozedere abweichend, einladen, sich mit mir
zusammen eine Aufnahme des geschätzten verstorbenen Antisemiten Thomas Stearns
Eliot anzuhören, der sein recht langes, gedichtartiges Werk Das Wüste Land vorträgt,
und währenddessen der Frage nachzugehen, in welcher Weise die Moderne die
traditionellen Elemente der Mündlichkeit, die wir im Laufe des Semesters
diskutiert haben, verwirft, bewahrt oder möglicherweise transformiert.«
    Henry verstand Professor Eglantine nie richtig, aber er deutete die
Ankündigung so, dass es diesmal keine längere Diskussionsrunde geben würde.
Erleichtert ließ er sich in den Sitz sinken. Er saß in der obersten Reihe des
winzigen Hörsaals zwischen Rick und Starblind. Alle drei waren sie hinter viel
zu kleine Tische mit konzertflügelförmigen Schreibplatten geklemmt und sahen in
ihren Spieltaghemden und Krawatten auf die kleineren, weniger sportlichen Kursteilnehmer
hinab. Ricks gelbgrüne Fliege hing schlapp über der weitläufigen und
zerknitterten Landschaft eines weißen Oxfordhemds wie ein Mistelzweig, und als
er gähnte und sich streckte, wurden unter den Armen Schweißflecken sichtbar.
Starblind sah mit seinem goldglänzenden Schlips und einem im Zinnoberrot
spätoktoberlichen Laubs schimmernden Hemd aus, als wäre er bereit für die Wall
Street oder vielleicht doch eher Hollywood. Henry trug, was er immer trug:
abgewetztes blaues Hemd, marineblau-altweißer Westish-Schlips. Rick und er
trugen außerdem ihre Harpooners-Kappen. Starblind nicht, er bedeckte sein
gegeltes blondes Haar nur auf dem Spielfeld. Hemd und Krawatte waren ein
Mike-Schwartz-Diktum, von dem Coach Cox gar nichts hielt. »Was spricht gegen
ein Sweatshirt?«, brummte er, wenn die Harpooners in die Umkleide strömten.
»Verdammte College-Schnösel.«
    Henry belegte seine
Physik-Übungen im Herbstsemester, damit sie sich nicht mit der Baseballsaison
überschnitten. Im Frühjahr blieb er bei sportlerfreundlichen
Schmalspurseminaren und Kursen, für die Owen oder Schwartzy bereits die Bücher
hatten. Transformationen mündlicher Überlieferung, Englisch Nr. 129, gleichzeitig als Anthropologie
Nr. 141 gelistet, gehörte zur letzteren Sorte.
Nicht einfach genug, um als Schmalspurkurs durchzugehen, aber Rick und
Starblind waren mit von der Partie, und dank Schwartzys »Redaktion« hatte Henry
auf sein Referatsausarbeitung über die Ilias eine
glatte Eins bekommen.
    Der Saal ging nach
Osten hinaus und war um diese Zeit oft lichtdurchflutet, heute aber waren
Schaumkronen auf dem See, und es sah nach Regen aus. Henry spürte, wie sich ein
Gedanke in seinem Kopf einnistete, den er noch nie gedacht oder zu denken auch
nur für möglich gehalten hatte: Hoffentlich wird das Spiel
wegen Regen abgesagt.
    »Marie!
Marie!«, quiekte
Eliot in dem allem Anschein nach hoffnungslosen Versuch, Henrys Aufmerksamkeit
zu erregen. Starblind kritzelte etwas auf ein Stück Papier und legte es Henry
auf den Tisch:
    !?!
    Da es von Starblind
kam, konnte das nur eines bedeuten. Henry durchsuchte den Raum nach dem
betreffenden Mädchen: ein weiblicher Neuzugang, der neben Professor Eglantine
saß. Ihr gelocktes, schulterlanges Haar hatte die Farbe von

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