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Kunst des klaren Denkens

Kunst des klaren Denkens

Titel: Kunst des klaren Denkens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Dobelli
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Bett gefesselt, bat mich, für ihn am Kiosk einen Lottoschein zu kaufen. Ich kreuzte sechs Zahlen an, schrieb seinen Namen drauf und bezahlte. Als ich ihm die Kopie des Lottozettels überreichte, sagte er unwirsch: »Warum hast du den Zettel ausgefüllt? Ich wollte ihn ausfüllen. Mit deinen Zahlen werde ich bestimmt nichts gewinnen!« »Denkst du wirklich, du kannst die Kugeln durch dein eigenhändiges Ankreuzen irgendwie beeinflussen?«, entgegnete ich. Er schaute mich verständnislos an.
    Im Kasino werfen die meisten Menschen die Würfel möglichst kraftvoll, wenn sie eine hohe Zahl brauchen, und möglichst sanft, wenn sie auf eine tiefe hoffen. Was natürlich ebenso Unsinn ist wie die Hand- und Fußbewegungen von Fußballfans, die tun, als könnten sie selbstins Spiel eingreifen. Diese Illusion teilen sie mit vielen Menschen: Sie wollen die Welt beeinflussen, indem sie gute Gedanken (Schwingungen, Energie, Karma) verschicken.
    Die Kontrollillusion ist die Tendenz, zu glauben, dass wir etwas kontrollieren oder beeinflussen können, über das wir objektiv keine Macht haben. Entdeckt wurde sie 1965 von den beiden Forschern Jenkins und Ward. Die Versuchsanordnung war einfach: zwei Schalter und ein Licht, das entweder an oder aus war. Jenkins und Ward konnten einstellen, wie stark die Schalter und das Licht miteinander korrelierten. Selbst in den Fällen, in denen die Lampe vollkommen zufällig ein- und ausschaltete, waren die Versuchsteilnehmer überzeugt, durch das Drücken der Schalter das Licht irgendwie beeinflussen zu können.
    Ein amerikanischer Wissenschaftler hat die akustische Schmerzempfindlichkeit untersucht, indem er Menschen in einen Schallraum einschloss und den Lautstärkepegel kontinuierlich erhöhte, bis die Probanden abwinkten. Es standen zwei identische Schallräume A und B zur Verfügung – mit einem Unterschied: Raum B hatte einen roten Panikknopf an der Wand. Das Ergebnis? Menschen im Raum B ertrugen deutlich mehr Lärm. Der Witz war, dass der Panikknopf nicht einmal funktionierte. Die Illusion allein genügte, um die Schmerzgrenze zu heben. Wenn Sie Alexander Solschenizyn, Victor Frankl oder Primo Levi gelesen haben, dürfte Sie dieses Ergebnis nicht überraschen. Die Illusion, dass man das eigene Schicksal doch ein klein wenig beeinflussen kann, ließ diese Gefangenen jeden Tag von Neuem überleben.
    Wer als Fußgänger in Manhattan die Straße überqueren will und auf den Ampelknopf drückt, drückt auf einen Knopf ohne Funktion. Warum gibt es ihn dann überhaupt? Um die Fußgänger glauben zu machen, sie hätten einen Einfluss auf die Signalsteuerung. So ertragen sie die Warterei vor der Ampel nachweislich besser. Dasselbe mit »Tür-auf-Tür-zu«-Knöpfen in vielen Aufzügen, die nicht mit der Liftsteuerung verbunden sind. Die Wissenschaft nennt sie »Placeboknöpfe«. Oder die Temperaturregulierung in Großraumbüros: Den einen ist es zu heiß, den anderen zu kalt. Clevere Techniker machen sich die Kontrollillusion zunutze, indem sie auf jeder Etage einen falschen Temperaturregulierungsknopf anbringen. Die Anzahl der Reklamationen geht damit deutlich zurück.
    Notenbanker und Wirtschaftsminister spielen auf einer ganzen Klaviatur von Placeboknöpfen. Dass die Knöpfe nicht funktionieren, sieht man seit 20 Jahren in Japan und seit einigen Jahren in den USA. Und doch lassen wir den Wirtschaftslenkern die Illusion – und sie uns. Es wäre für alle Beteiligten unerträglich, sich einzugestehen, dass die Weltwirtschaft ein fundamental unsteuerbares System ist.
    Und Sie? Haben Sie Ihr Leben im Griff? Wahrscheinlich weniger, als Sie denken. Glauben Sie nicht, Sie seien ein stoisch-kontrollierter Marc Aurel. Eher sind Sie der Mann mit der roten Mütze. Deshalb: Konzentrieren Sie sich auf die wenigen Dinge, die Sie wirklich beeinflussen können – und von denen konsequent nur auf die wichtigsten. Alles andere lassen Sie geschehen.

DIE INCENTIVE-SUPERRESPONSE-TENDENZ
    Warum Sie Ihren Anwalt nicht nach Aufwand bezahlen sollten

    Die französische Kolonialherrschaft in Hanoi verabschiedete ein Gesetz: Für jede tote Ratte, die man ablieferte, gab es Geld. Damit wollte man der Rattenplage Herr werden. Das Gesetz führte dazu, dass Ratten gezüchtet wurden.
    Als 1947 die Schriftrollen vom Toten Meer entdeckt wurden, setzten Archäologen einen Finderlohn für jedes neue Pergament aus. Resultat: Die Pergamente wurden zerrissen, um ihre Anzahl zu erhöhen. Dasselbe geschah in China im 19. Jahrhundert,

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