Kunstblut (German Edition)
Tränen traten in ihre Augen. Sie begann, in ihrer Handtasche zu wühlen. Dieses Mal war sie von Louis Vuitton. Die Zeit, die verstrich, bis sie ein Spitzentuch gefunden hatte, um sich die Augenwinkel zu tupfen, war beachtlich. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben, bis es wieder gefaltet an seinem Platz war.
»Was haben Sie Fahrenbach über mich erzählt?«, fragte ich, als sie mir endlich wieder ihre Aufmerksamkeit zuwandte.
»Nichts!«
Katja kam mit dem Sekt und stellte ihn ab. Frau Wolter bedankte sich nicht.
»Es war schwer genug, das kann ich Ihnen sagen«, fuhr sie fort, als Katja den Raum verlassen hatte – nicht ohne die Augen verdreht zu haben. »Dieser entsetzliche Fleischkloß …« Wieder kam das Spitzentuch zum Einsatz.
»Er hat meine Nummer auf Ihrem Telefon gefunden.«
» Das ist ja wohl nicht mein Fehler«, zischte sie. »Dieses Ding speichert sechs oder zehn Nummern, ich weiß es nicht. Egon hat das angeschafft.« Sie atmete tief. »Ich habe ihm gesagt, Egon hätte mir Ihren Namen genannt. Aber er hätte auch gesagt, er hätte Sie entführt, er kenne Sie eigentlich gar nicht. Nachdem er mich angerufen hat, habe ich versucht, Sie zu erreichen, um herauszufinden, was passiert ist, aber es war nur der Anrufbeantworter an, und ich habe nicht daraufgesprochen.«
Ich entspannte mich und nahm einen Schluck Scotch. »Das haben Sie sehr gut gemacht, Frau Wolter.«
»Das weiß ich«, fauchte sie. »Halten Sie mich nicht für irgendein blödes Blondchen. Ich kann sehr gut für mich selbst sorgen, Herr Kant. Und nun zum Geschäftlichen …«
Ich war überrascht. Frau Wolters Auftritt vom Vorabend hatte eine derartige Entschlossenheit nicht erwarten lassen. Das Ableben ihres Mannes schien verborgene Energien geweckt zu haben.
»Haben Sie einen Verdacht, wer ihn getötet hat?«, fragte ich.
»Natürlich. Jemand hat einen Zeugen für den Mord an Yves Schwarzenberger beseitigt.«
»Wer?«
»Seine Frau.« Erneut begann sie in ihrer Tasche zu wühlen.
»Ihre Schwägerin Isabelle?«
Ihr Blick zuckte kurz hoch, dann konzentrierte sie sich wieder auf die Tasche, bis sie endlich eine Packung Zigaretten fand und die Suche nach Feuer beginnen konnte.
»Sie ist nur Egons Halbschwester«, sagte sie, als die Zigarette endlich brannte.
»Das scheint mir noch kein Grund für einen Mord.«
»Ich will den Umschlag wiederhaben«, sagte sie unvermittelt.
»Den Umschlag? Ich dachte, wir reden vom Mörder Ihres Mannes, Frau Wolter.«
»Den wird Kommissar Klops schon finden. Ich will den Umschlag zurück. Er gehört mir.«
Es war erstaunlich. Egon Wolter schien von Frauen sehr respektablen Kalibers umgeben gewesen zu sein, was ich von einem Mittelklasseganoven wie ihm nicht erwartet hätte.
»Was haben Sie mit dem Umschlag vor?«, fragte ich.
»Das kann Ihnen egal sein. Seien Sie doch froh, dass Sie die ›Bombe‹ los werden.«
»So einfach ist das durchaus nicht. Niemand, der Interesse an der Sache hat, wird mir glauben, dass ich nicht wüsste, was in dem Umschlag ist.«
»Und? Wissen Sie es?«
»Natürlich.«
»Egon hat Ihnen untersagt, ihn zu öffnen.« Wütend griff sie nach ihrem Sekt. Ihr Gesicht warf hässliche Falten.
»Die Situation hat sich seit gestern grundlegend geändert, Frau Wolter.«
Sie schüttete den Sekt mit einer schnellen Bewegung in sich hinein. »Was haben Sie gefunden?«, zischte sie dann.
»Zahlen.«
»Zahlen. Natürlich. Was für Zahlen?«
»Ich habe sie noch nicht analysiert.«
Sie starrte mir in die Augen und versuchte herauszufinden, ob ich log. Es gelang ihr nicht.
»Ich glaube Ihnen nicht«, sagte sie.
»Dann lassen Sie es.«
»Ich will ihn haben. Sofort.«
»Sofort kann ich Ihnen nur eine Kopie geben. An das Original komme ich erst morgen früh.«
»Sie geben ihn mir?«, fragte sie überrascht.
»Natürlich. Wie Sie gesagt haben: Er gehört Ihnen.«
Ein, zwei Sekunden berechnete sie ihre Position. »Ich will das Original und sämtliche Kopien.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich, Frau Wolter. Sie können das Original haben. Aber es macht einen erheblichen Unterschied für meine Sicherheit, ob ich eine Kopie besitze oder nicht. Außerdem wären Sie ohnehin auf mein Wort angewiesen, dass ich keine behalte.«
»Und Ihrem Wort kann man nicht trauen, nehme ich an.«
»Nicht in jeder Situation, Frau Wolter. Zum Beispiel, wenn man versucht, mich für dumm zu verkaufen.«
Einen Moment hielt sie meinem Blick stand, dann sah sie zur Tür. »Wo bleibt denn die
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