Kunstgriff
Massenkarambolage auf der A 3 kurz hinter Idstein beteiligt.«
Sie hatte im Radio davon gehört. »Sind die Leute schwer verletzt?«
»Leider ja. Es wird Tage dauern, bis wir mit ihnen reden können.«
»Und sonst? Weitere Verdächtige?«
»Warum willst du das wissen?«, fragte er misstrauisch. »An welchem Fall arbeitest du?«
»An gar keinem. Ich fahre für fünf Tage nach Florenz«, lautete ihre fröhliche Antwort. »Mich treibt die unschuldige Neugierde einer Ex-Kollegin. Du weißt, dass alles unter uns bleibt.«
Sie würde allein reisen. Am Abend war ein Anruf von Lutz gekommen. Die Diebe oder besser gesagt, die ›Entführer‹, hätten sich nicht gemeldet. Undine sei sehr beunruhigt, und er könne sie in dieser Situation unmöglich allein lassen. Er bedrängte Norma nicht, die Ermittlungen zu übernehmen, klang aber erleichtert, als sie versprach, sich nach der Reise sofort bei Undine zu melden.
Wolfert seufzte unwillig. »Wir haben zwei andere Verdächtige, einen Winzer und dessen Frau. Das hängt mit Mettens Privatleben zusammen, neutral ausgedrückt.«
»Und die Gaunereien, die Reisinger ihm anhängen wollte?«
»Wir sind dran. Ich muss weiter, Norma.«
»Bitte eines noch, Dirk! Was wisst ihr über die Tatwaffe? Ist das tatsächlich ein Flitzebogen?«
»Was du einen Flitzebogen nennst«, erklärte Wolfert ernsthaft, »war nach aller Wahrscheinlichkeit ein Jagdbogen mit einem Jagdpfeil. In den USA und in Kanada erlegt man damit sogar Hirsche und Bären. Bei uns in Deutschland ist die Bogenjagd verboten.«
»Also sucht ihr einen Jäger?«
»Den haben wir gefunden.«
»Du sprichst von Reisinger?«
Wolfert klang zuversichtlich, als er berichtete, dass Ralf Reisinger im Besitz eines Jagdscheins sei und ausgerechnet für die Gegend, in der Metten zu Tode gekommen war, einen Jagderlaubnisschein besitze. Diese Genehmigungen stellte das Forstamt gegen eine Gebühr aus; die erfolgreich abgelegte Jägerprüfung vorausgesetzt. »Solange das Alibi nicht hieb- und stichfest ist, bleibt er meine Nummer eins.«
»Ein eifersüchtiger Jäger als mordender Bogenschütze? Verrückt! Fehlt nur noch die Waffe.«
»Eine Frage der Zeit. Wollen wir mal wieder zusammen essen, wenn das hier vorbei ist?«
»Gern, sobald ich zurück bin. Bis dahin habt ihr den Täter bestimmt überführt.«
Sie wünschte ihm viel Glück und fügte einen Gruß an Luigi hinzu.
Beim Frühstück dachte sie darüber nach, warum Wolfert sich so gesprächig gezeigt hatte. War ihm endlich klar geworden, dass auf ihre Verschwiegenheit Verlass war? Eine Absicht verfolgte er mit seinen Auskünften sicher nicht. Strategien solcher Art lagen ihm nicht.
Durch das Schaufenster schien die helle Junisonne. Der Kater reckte sich und machte einen Buckel, bevor er zur Tür trottete und mit hellem Miauen lautstark verlangte, dass ihm geöffnet würde. Plötzlich bekam Norma Lust auf einen Ausflug und beschloss, in die Stadt zu fahren. Sie würde sich ein Kleid kaufen! Ein luftiges Sommerkleid für die Reise. Obwohl sie selten Kleider trug, für Florenz schien es ihr angemessen.
Das Telefon rief sie zurück an den Schreibtisch.
Die zaghafte Frauenstimme war ihr unbekannt. »Frau Norma Tann? Ich bedaure sehr, Ihnen sagen zu müssen, dass unsere Reiseleiterin erkrankt ist. Leider konnten wir so kurzfristig keinen Ersatz bekommen. Wir müssen Sie bitten, die Florenzreise zu verschieben.« Die Dame wiederholte ihre Beteuerungen, wie unangenehm ihr die Angelegenheit sei.
Undine und Lutz werden erleichtert sein, dachte Norma enttäuscht. Damit habe ich doch einen Fall. Bevor sie tatenlos abwartete, wollte sie lieber arbeiten. Selbst wenn es für die ungeliebte Galeristin war.
7
Marco Rossacker verschränkte die Hände ineinander; schlanke, agile Musikerhände, die zu der schmalen Gestalt passten wie die mädchenhafte Fönfrisur. Der junge Mann, nach eigenen Angaben Tenor-Saxofonist in einer Ethno-Jazzband und Musikstudent, gab sich gelassen, obwohl er offensichtlich nicht wusste, was er von der Privatdetektivin halten sollte, die ihn von der anderen Seite des Tisches mit zurückhaltendem Blick musterte. An diesem Platz führte Undine gewöhnlich die Gespräche mit Kunden.
Norma griff zum Handy, das auf dem Glastisch bereit lag, und wählte eine eingespeicherte Nummer. Gleichzeitig klingelte es in dem Rucksack, den Marco unter dem Tisch abgestellt hatte.
Norma lächelte aufmunternd. »Wollen Sie nicht rangehen?«
Der Junge bückte sich und kam mit dem
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