Kunstgriff
hat überhaupt nichts zu bedeuten!«
Wolfert blätterte die Papier durch. Laut las er die Überschriften vor: »›Vorteile der Bogenjagd‹. Ein Ausdruck aus Wikipedia. Eine ›Abhandlung über die tödliche Wirkung der Jagdpfeile‹. ›Jagdreisen mit Pfeil und Bogen. In den USA und Afrika.‹ Und hier«, dabei hielt er ein Blatt Papier in die Höhe, »handelt es sich um das Angebot eines Online-Shops für Jagdzubehör. Jagdbögen und Pfeile.« Er musste an sich halten, um sein Gegenüber nicht mit höchster Zufriedenheit anzustrahlen. »Und Sie wollen uns weismachen, Sie hätten nichts mit Jagdbögen zu schaffen?«
»Das ist ein Missverständnis!«, beharrte Reisinger. »Dies sind nur Ausdrucke aus dem Internet. Daraus können Sie mir keinen Strick drehen!«
Milano schlug die Schranktür zu. »Reden wir Tacheles! Wo haben Sie den Jagdbogen gelassen?«
Als müsste er sich vor einem Angriff schützen, riss Reisinger die Arme vor das Gesicht. »Ich habe keinen Bogen, glauben Sie mir doch. Zugegeben, die Bogenjagd interessiert mich. Ich bin nicht der Einzige. Das Internet ist voller Foren und Websites darüber. Das Thema ist ansagt unter den Jägern.«
Bei dieser Aussage blieb er mit aller Beharrlichkeit. Die Ausdrucke blieben das wichtigste Ergebnis der Hausdurchsuchung. Ein Bogen oder Pfeil ließ sich nicht finden und auch kein weiteres Zubehör wie ein Armschutz, Visier oder Pfeilköcher. Enttäuscht brachen sie die Suche ab.
»Was hast du erwartet?«, fragte Milano auf dem Weg zum Wagen. »Reisinger ist nicht so blöd, die Tatwaffe unter das Bett zu schieben.«
Wolfert zückte den Autoschlüssel. Mit leisem Quietschen sprangen die Türschlösser auf. »Immer wieder machen Täter die dümmsten Fehler. Sonst hätten wir es noch schwerer.«
»Mal angenommen, er ließ den Bogen verschwinden. Warum hat er nicht die Texte ins Altpapier befördert? Die sind zwar kein Beweis, machen ihn aber verdächtig.«
»Vermutlich sah er dafür keinen Grund. Weil er sich sicher gefühlt hat. Oder er hat tatsächlich nichts mit Mettens Tod zu tun. Wer fährt?«
»Wer fragt, der fährt. Wir sollten uns dieses Winzerpaar vornehmen.«
Wolfert zog die Fahrertür auf. »Lass uns das mit Gert abklären. Immerhin ist er der Chef.«
»Was du nicht sagst!«, brummte Milano und stieg in den Wagen.
9
Sie trug die Yogamatte unter dem Arm und in der anderen Hand die Reisetasche, die sie für Florenz gepackt und um einen Pullover, Sportkleidung und das Notebook ergänzt hatte, die breiten Stufen des Treppenhauses hinauf. Marco ging voraus. Das Gebäude stammte aus derselben Zeit wie Undine Abendsterns Domizil, und beide Häuser lagen nur einen Straßenzug voneinander entfernt. Der herrschaftliche Anspruch dieses Bürgerhauses war mit den Jahren jedoch dem herben Charme der Vergänglichkeit gewichen. Im Vorbeigehen musterte Norma die abgestoßenen Wände und vernachlässigten Wohnungstüren, von denen sich die Farbe schälte. Das Treppengeländer schien vom Rost zusammengehalten, und in den ausgetretenen Stufen hätte man Kaulquappen aufziehen können, an denen die magere Katze Spaß gehabt hätte, die auf dem Podest lauerte und fauchend die rote Tatze nach Normas Waden ausfuhr.
Marco blieb auf dem Treppenabsatz stehen und warnte: »Fassen Sie das Biest besser nicht an.«
»Nichts liegt mir ferner.« Sie warf einen Blick auf das knurrige Katergesicht. »Er sieht aus, als hätte er wenig Gutes erlebt.«
»Muss wohl so sein. Er heißt Carlo und wird von den Leuten versorgt, die hier umsonst wohnen dürfen. Daniel hat ein Herz für Streuner.«
Norma staunte. »Daniel Götz verlangt keine Miete?«
Daniel war Ricos Bruder, wusste sie von Marco. Beide hatten das Haus gemeinsam von den Eltern geerbt und teilten sich die Wohngemeinschaft mit Nina und Marco. Dieses Verhalten zweier Hausbesitzer machte sie neugierig.
Im Vorbeigehen deutete Marco auf zwei Türen im ersten Stock. »Daniel ist schwer in Ordnung. Diese beiden Wohnungen hält er für die Straßenkids frei. Rico hasst das. Andauernd streiten sie darüber. Rico will lieber von allen Wohnungen die Miete kassieren.«
Sie waren im oberen Geschoss angekommen.
»Vergiss unsere Abmachung nicht«, flüsterte Norma. »Wir sind per du.«
Marco nickte stumm und wandte sich nach rechts. Er schloss die Tür auf, hinter der sich ein langer, mit Kommoden und Kleiderschränken bestückter Flur auftat, auf dem er nun vorausging. Auf einer Zimmertür klebte mit Malerkrepp nachlässig
Weitere Kostenlose Bücher