Kunstgriff
Der Mann hatte ihren Sinneswandel kommentarlos zur Kenntnis genommen. Offenbar war er eine wankelmütige Kundschaft gewöhnt. »Wieso weißt du überhaupt davon?«
Lutz lächelte hintergründig. »Mein Freund, der Makler! Er hat mir unter anderem erzählt, dass dein derzeitiges Domizil im Dichterviertel zum Kauf angeboten werden soll.«
»Daniel will das Haus verkaufen? Was soll dann aus seinem Projekt werden? Ich kann mir das gar nicht vorstellen.«
»Herr Götz wollte vor allem wissen, wie viel ihm der Verkauf einbringen könnte. Die Sache ist noch nicht spruchreif, meint mein Freund. Er weiß, das ich damit nicht hausieren gehe.«
Sie lächelte. »Was du nicht sagst!«
Lutz brachte das Thema erneut auf Dr. Regert. Ob sie nicht Nachforschungen über ihn anstellen könne, fragte er frei heraus.
»Hast du mich eingeladen, um mir zum Nachtisch einen Auftrag zu servieren? Ich soll deinen Rivalen ausspionieren? Das ist nicht dein Ernst, Lutz!«
Er zeigte sich verwundert über ihre Reaktion. »Was soll das, Norma? Sonst bist du nicht so pingelig, wenn es um das Privatleben anderer geht.«
»Sofern es einen Auftrag betrifft. Ehegeschichten gehören nicht dazu, wie du genau weißt.«
»Ich verlange nicht, dass du dich im Kleiderschrank versteckst. Gott bewahre! Ich möchte wissen, mit wem ich es zu tun haben. Oder vielmehr, mit wem Undine sich abgibt. Dir ist der Mann auch nicht geheuer!«
Die Eifersucht hatte ihn fest im Griff. Schmal sah er aus. Beunruhigend matt.
Sie nahm den letzten Schluck Espresso. Ein klebriger Zuckerrest sackte in die Tasse zurück. »Ein wenig könnte ich dir erzählen.«
Ihr Lohn war ein befreites Lächeln. »Mir reicht der Krach mit Undine. Mit dir will ich bestimmt nicht streiten, Norma. Sag mir nur, was du verantworten magst.«
So nachgiebig erlebte sie ihn selten. Besänftigt durch sein rasches Einlenken, fasste sie zusammen, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Das Internet hatte sich als ergiebig erwiesen, und manche Lücke ließ sich durch einen Anruf schließen. »Gregor Regert ist ein echtes Landei. Er wuchs in einem Dorf im Taunus auf.«
»Wie idyllisch«, warf Lutz ein, der gern auf alles Ländliche, das ihm grundsätzlich suspekt war, mit leisem Spott reagierte.
»In seinem Fall weniger«, widersprach sie. »Dr. Regert wuchs in einfachen Verhältnissen auf, wie man so sagt. Der Vater arbeitete im Wald, die Mutter in einer Fabrik. Gregor Regert war 16 Jahre alt, als der Vater von einer Tanne erschlagen wurde. Er hatte soeben das Abitur in der Tasche, da erkrankte die Mutter an Krebs und starb bald darauf. Ab diesem Zeitpunkt war er ganz auf sich gestellt, ohne Geschwister. Auch die Großeltern waren seit Langem tot.«
»Kein leichtes Schicksal«, musste Lutz einräumen. »Trotz allem hat er sein Medizinstudium geschafft.«
»Nun, er war finanziell gut gestellt. Die Lebensversicherungen der Eltern ermöglichten ihm sogar ein paar Semester in den USA. Dort hat es ihm offenbar so gut gefallen, dass er Jahre später in die Vereinigten Staaten zurückkehrte.«
»Um dort als Arzt zu arbeiten?«
»Nein, er war in einem Labor beschäftigt. Unser Gregor verdiente sein Geld in der Stammzellenforschung.«
»Du meinst Klone und so etwas?«
Norma nickte. »Er forschte an der Universität Wisconsin-Madison. Die Uni ist berühmt für ihre wissenschaftlichen Erfolge auf diesem Gebiet. Bereits 1998 hat man dort menschliche Hautzellen mit den Eizellen von Kühen verschmolzen.«
»Gruselig! Zum Glück ist die Aufzucht von Chimären in Deutschland verboten. Was treibt Regert hierzulande?«
»Eine Zeit lang arbeitete er an einem Frankfurter Forschungsinstitut. Und daran ist etwas seltsam.«
Lutz hakte nach. »An dem Institut?«
»Nein, mir fiel etwas anderes auf: Aus der Amerikazeit gibt es eine Fülle von Informationen von und über Regert. Fachartikel, Veröffentlichungen, Auszeichnungen und anderes mehr. Auch aus den Anfangsjahren in Frankfurt ist eine Menge zu finden. Plötzlich bricht der Strom der Veröffentlichungen ab, und bald darauf verlässt Regert das Frankfurter Institut. Wie es heißt, auf eigenen Wunsch.«
»Warum soll ihm nicht die kreative Forschungskraft abhanden gekommen sein?«, meinte Lutz leichthin. »Oder der Herr Doktor ist ausgebrannt. Was macht er heute?«
»Er wohnt in Biebrich, ausgerechnet in meiner Nähe, und arbeitet als Freiberufler für einen kleinen Wiesbadener Verlag. Er übersetzt wissenschaftliche und medizinische Texte aus dem Englischen.
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